Deflation ist ein immer öfter geflüstertes Wort in Europa geworden. Das Preisniveau könnte auch unter Null sinken. Negative Inflation. Ein möglicher Vorbote der Depression. Überall hört man es. Zuerst ganz leise, mittlerweile aber immer selbstbewusster, nahezu entrüstet. Und immer öfter im Zusammenhang mit den volkswirtschaftlichen Irrfahrten Japans während der letzten 20 Jahre als mahnendes Beispiel. Was ist da dran? Sind wir in der Japan-Falle? Einige der historischen Parameter unseres fernöstlichen Partners sind sehr wohl im Stande das „D-Wort“ auch in Europa zum täglichen Fakt werden zu lassen, aber ein offener Blick aufs historische Detail relativiert dann schon wieder.
Lassen wir die augenscheinlichen Gleichheiten wie ultratiefe Zinsen und Bankenstress einmal beiseite und konzentrieren wir uns auf die Unterschiede. Während Deflation in Japan jahrelang vor sich hin “werken“ durfte, wurde sie in Europa sofort zum Gespenst geadelt. Im Rausch vielfacher Untergangsszenarien, von Subprime, über Euro mit Peripherieübeln, zu Bankenschieflagen und Negativzinsen samt begleitenden Konjunktursorgen bei in Summe tiefer Inflation, war die Feststellung von Deflation blitzschnell zur Hand. Aber Pauschalurteile sind beides: schnell zur Hand und eben pauschal. Kann uns Japan als Deflationsbeispiel überhaupt nutzen?
Ganz kurz: wenig. Denn als die Bank of Japan begann fleißig Geld zu drucken um der fallenden Preisspirale Herr zu werden, waren bereits sieben Jahre Deflation ins Land gezogen. Gleichzeitig war der lokale Bankenapparat noch kaum adressiert worden. Die Überkapitalisierung der Banken stürzte plötzlich zusammen und musste danach mühsam erst wieder aufgefangen werden. Das Bankenthema wurde dagegen in Europa sofort und bereits bevor man noch „D“ schreiben konnte angegangen. Bis hin zum Stresstest. Manchmal sogar über das regulatorische Ziel hinaus.
Ebenso war und ist das japanische Arbeitsmodell enorm unflexibel. In Europa ist der Markt selbst in angestammten Sozialburgen weit flexibler als im Land der aufgehenden Sonne. Was Japan daher machte um Kündigungen zu vermeiden, war die Löhne massiv zu kürzen um trotzdem einen ähnlichen Effekt zu erzeugen. Damit war aber eine Spirale in Gang gesetzt, die aufzuhalten nicht mehr gelang. Die Menschen konnten sich nichts mehr leisten, Sparen wurde zum (Über)Lebenszweck und der Preisdruck ließ die Inflation ins Minus rutschen. Während dessen stiegen in Europa sogar die Löhne um rd. 1,5% und „halfen“ somit sogar in Gegenteil der (offiziellen) Inflation. Ebenso waren vor Ausbruch der Krise Japans Immobilienpreise auf enorm hohen Niveaus. Die begannen deutlich zu fallen und dies in sämtlichen Lebenslagen, vom Eigentum bis zur Untermiete. Bis zu 80% tiefer liegt heute das Preisniveau. Europas Immobilienpreise hingegen sind hier in angenehm komfortabler Situation und genießen sogar noch ein Image als Alternative zu den mittlerweile enorm tiefen Bondrenditen.
Die Parameter der gesunkenen Inflation in Europa sind daher mit jenen Japans wenig vergleichbar. Unser Inflationskorb „leidet“ (angeblich) unter gesunkenen Energiekosten, Lebensmittelkosten und sonstigen Aufwendungen wie zum Beispiel Urlaub. Dagegen wird der öffentliche Verkehr, Miete und das Beisl ums Eck teuer genug, um die Inflationsdaten im Plus zu belassen. Ein völlig anderer Mix als in Fernost. Und auch ein völlig anderes Maßnahmenkorsett seitens EZB und EU. Dieses gilt es einzuhalten und wohlweislich, in Erkenntnis lokaler Politikerneigungen Wahlversprechen zu machen, um erhöhte volkswirtschaftliche Disziplin einzufordern, was ja nicht zwangsweise Sparen bedeutet.
Die Japaner werden uns auf unseren Straßen als Touristen und Autohersteller (der tiefe Yen schiebt hier so richtig an) immer mehr begegnen. In der europäischen Volkswirtschaft haben sie maximal die Rolle eines mahnenden Beispiels. Aber in Erkenntnis der wichtigen und mehr als notwendigen konjunkturfördernden Maßnahmen ist jedes Mahnmal willkommen.
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