Zertifikate (Michael Gredenberg)

Heute geht es nicht direkt um Aktien, sondern um sogenannte Investment-Zerfifikate. Da diese Form des Investieren weit verbreitet ist und sehr stark beworben wird, ist es mir ein Anliegen auch darüber zu berichten und die Unterschiede zu einem Aktien-Investment herauszustreichen.
Ich denke, daß wir hierzulande auch deshalb viele Aktienmuffel haben, weil sie mit Empfehlungen für Zertifikate von ihrem “Vermögensberater”, Bankbetreuer, etc. schlechte Erfahrungen gemacht haben.
Viele werden also schon davon gehört haben, und wahrscheinlich diese Produkte auch von Bankberater ihres Vertrauens bereits angeboten bekommen haben.
Es handelt sich bei Zertifikaten um eine Form von Derivaten (was soviel bedeutet wie “Abgeleitete” Wertpapiere), da sich der Wert eines Derivates von der Entwicklung des Preises eines Basis-Wertpapiers (meistens einer Aktie) ableitet.
Der Preis eines Derivates steigt bzw. fällt in Abhängigkeit seines Basiswertes (auch “Underlying” genannt) in einem bestimmten, nicht immer linearen Verhältnis, oft auch mit starker Hebelwirkung.

Ich werde sicher noch einige Arikel zum Thema Derivate schreiben, besonders Optionen und Futures sind sehr viel gehandelte Derivate.

Für Anfänger sind Derivate allerdings nicht zu empfehlen!
Erst wenn man genau versteht, wie sich der Wert eines Derivates in Abhängigkeit seines Basiswertes entwickeln kann, welche Szenarien und welche Risiken es gibt, sollte man überlegen darin zu investieren.

Was is nun von Zertifikaten zu halten:

Gleich einmal vorweg: Was mich an der Sache am meisten stört, ist, daß fast alle Banken als Herausgeber von Zertifikaten agieren und so tun, als ob diese Anlagemöglichkeit sicher und für jedermann geeignet ist, selbst dann wenn man sehr wenig Erfahrung hat.

Ich werde das anhand eines Beispiels erläutern:

Vor einigen Tagen bekam ich per Post von einer renommierten Bank folgenden Anlagevorschlag:

—-> Zitat aus der Werbebroschüre:
Ihr Anlageprofil

■ Sie erwarten eine stagnierende, leicht steigende Kursentwicklung der Basiswerte

■ Ihr Anlagehorizont beträgt 2 Jahre

Die Vorteile auf einen Blick:

■ Eine hohe und feste Zinszahlung von 8,50% pro Zertifikat an
jedem Beobachtungstag

  • Hohe Diversifikation der Branchen und niedrige Barriere von 60% erhöhen die Chancen einer maximalen Rückzahlung am Ende der Laufzeit
  • Ausgezeichnete Bonität des Emittenten: S&P Rating A und Moody’s Rating A11
  • Etablierte Basiswerte: Deutsche Börse AG, RWE AG, GDF Suez und Total SA

Die wesentlichen Risiken

  • Bei Kurssteigerungen der Basiswerte sind die Zinszahlungen und der Rückzahlungsbetrag fest. Dies bedeutet, dass der Anleger nicht in allen Fällen an Kurssteigerungen partizipiert.
  • Die Höhe der Rückzahlung kann bei entsprechend negativer Entwicklung der Basiswerte null betragen. Es besteht die Möglichkeit eines Totalverlustes.
  • Bonitätsrisiko des Emittenten: Bei Zahlungsunfähigkeit der XXX-Bank besteht das Risiko des Totalverlustes.

—–> Ende Zitat

Was bedeutet das nun?

Für einen Anfänger liest sich das so:

– 8,5% Zinszahlung, schon mal sehr toll. Da kann kein Sparbuch mithalten ;-)

-Hohe Diversifikation (4 verschiedene Basiswerte), auch sehr gut, Risikostreuung ist schliesslich wichtig.

– Als erstes Risiko wird genannt, daß man nicht voll von Kurssteigerungen profitiert sondern eben maximal 8,5% p.a. erhält – egal man ist ja nicht unbescheiden.

– Es besteht die Möglichkeit eines Totalverlustes – “Das müssen sie dazuschreiben, das wird eh nie passieren..”

– Emittentenrisko: Daß meine Bank pleite geht ist sehr unwahrscheinlich, schließlich werden die Banken im Notfall sowieso immer vom Staat gerettet.

Wie funktioniert das genannte Zertifikat wirklich:

Jedes Zertifikat ist ein von einem “Emittenten” – meistens einer Bank – herausgegebenes Wertpapier, welches eine bestimmte Laufzeit hat und in Abhängigkeit von einem oder mehreren Basiswerten Auszahlungen verspricht.

Es gibt also unzählige Möglichkeiten so ein Zertifikat zu gestalten. Die einfachste Möglichkeit sind z.B. Open-End Index-Zertifikate welche einen Index 1:1 abbilden und eine endlose Laufzeit haben. Man kann mit diesen Zertifikaten z.B. für EUR 100,- den DAX kaufen und nach einiger Zeit wieder an die Bank zurückverlaufen. Bei gestiegenem DAX mit entsprechendem Gewinn, ansonsten mit Verlust.

Da die Bank der Emittent des Zertifikates ist, ist das Zertifikat quasi ein Versprechen der Bank, zu bestimmten Bedingungen an einem bestimmten Zeitpunkt Zahlungen an den Zertifikatsinhaber zu leisten.

Kann die Bank diesen Zahlungsversprechen nicht nachkommen, ist das Zertifikat wertlos  – das ist das sogenannte Emittentenrisiko.
Dieses Risiko ist in der Vergangenheit auch bereits relevant geworden. Der größte und bekannteste Fall war die Pleite von Lehman Brothers im September 2008. Lehman hatte abertausende von Zertifikaten aufgelegt und an Millionen von Anlegern verkauft, welche nach der Pleite nur noch durch die Finger schauen konnten.

In diesem Fall hat das Zertifikat eine Laufzeit von 2 Jahren und verspricht eine Zinszahlung von jährlich 8,5% wenn keiner der 4 Basierte während dieser Laufzeit unter eine Barriere von 60% des Aktienkurses fallen, welchen sie zum Ausgabezeitpunkt des Zertifikates hatten. Wenn am Ende der Laufzeit alle 4 Basiswerte über der Barriere notieren, erhält der Anleger seinen Einsatz zurück.

Sollte EINER der 4 Basiswerte während der Laufzeit unter diese Barriere fallen, so erhält der Anleger am Ende der Laufzeit (also nach 2 Jahren) kein Geld sondern die Aktien von demjenigen Basiswert mit der SCHLECHTESTEN Performance.

Das ist meiner Ansicht nach Täuschung des Anlegers.

Es wird mit Diversifikation geworben, aber das Gegenteil ist der Fall.

Normalerweise bedeutet Diversifikation, daß man das Risiko streut, also z.B. 4 Aktien kauft und wenn eine davon schlecht geht und die anderen gut, der Verlust eingedämmt wird bzw. vielleicht sogar noch ein Gewinn herausschaut.
Es ist unglaublich, aber hier trifft exakt das Gegenteil zu:. Da man auf jeden Fall Angst haben muß, daß sich einer der 4 Basiswerte schlecht entwickelt, ist man nicht diversifiziert, sondern man hat quasi das vierfache Risiko. Hätte man nur einen Basiswert müsste man nur einmal “schwitzen”. In diesem Fall hier, muß man aber für 4 Aktien hoffen, dass KEINE davon die untere Barriere berührt. Unglaublich, daß so etwas heutzutage als “Diversifikation” verkauft wird.
Gerade Unerfahrene können aber hier sehr schnell drauf hereinfallen.

Fazit:
Das Beispiel zeigt, wie Zertifikate oft als einfache Produkte verkauft werden, die Sicherheit (in diesem Fall z.B. durch Diversifikation) und hohe Erträge versprechen. In Wirklichkeit sind es oft (auch im Beispielfall) komplexe Derivate, die von der Bank durch viele Optionsgeschäfte abgebildet werden müssen. Wenn man also nicht weiss, wie genau Optionen funktionieren, oder vielleicht noch nie davon gehört hat, dann sollte man von dem Zertifikat auch die Finger lassen. In dem Moment wo man dieses Zertifikat kauft, geht man automatisch indirekt Positionen in mehreren Optionsgeschäften ein – ohne es zu wissen.

Es gibt aber von vielen Emittenten ähnliche Zertifikate wie dieses Beispiel. Sie heißen z.B. “Protect Multi Aktienanleihe” oder “Multi Aktienanleihe Protect” oder nur “Multi Aktienanleihe” oder gar “Europa Blue-Chip Anleihe” (das ist der kreativste Name ;-)
Die Namensgebung hängt also von der Qualifikation der Marketingabteilung des Emittenten ab.

Was ist bei Zertifikaten generell zu beachten:
Das Beispiel hat bereits gezeigt, wie komplex ein – sicher für jeden Bankberater einfach zu verkaufendes Produkt – sein kann.

Generell wichtig ist:

- Zertifikate haben meistens eine beschränkte Laufzeit und die Auszahlung ist abhängig von einem oder mehr Basiswerten.

Wenn sich der Basiswert während der Laufzeit nicht gut entwickelt, können große Verluste entstehen, die bei einer direkten Investition in den Basiswert einfach “ausgesessen” werden können, sofern man an das Unternehmen glaubt.
Bei der direkten Investition ist man schließlich direkt beteiligt und kann die Aktie solange halten wie man möchte. Das Zertifikat läuft aber irgendwann aus. Es ist also eine zeitlich begrenzte Wette auf den Kursverlauf und ist deshalb keine langfristige Investition.
Wie wir mittlerweile wissen kann der Kursverlauf stark schwanken, auch bei fundamental guten Unternehmen. Wenn man vom Unternehmen überzeugt ist, ist das egal, AUSSER man wettet zeitlich begrenzt auf den Kursverlauf.

- Als Zertifikate-Investor ist man Gläubiger des Emittenten und keineswegs direkt am Basiswert beteiligt.

Wenn man eine Aktie kauft, ist am am Unternehmen beteiligt. Man hat ein Stimmrecht auf der Hauptversammlung und ein Recht auf anteilige Dividenden etc.
Wenn man über ein Zertifikat an der Wertentwicklung einer Aktie beteiligt ist, so hat man nur das Versprechen des Emittenten abhängig von der Kursentwicklung der Aktie Zahlungen zu leisten. Man ist NICHT an der Firma direkt beteiligt, kann nicht auf die Hauptversammlungen gehen und abstimmen und hat auch kein Recht auf die Dividenden – in manchen Fällen werden einem die vom Emittenten auch weitergeleitet, aber nicht immer.

Schlußwort:
Ich würde eigentlich niemanden empfehlen zu Zertifikaten zu greifen. Anfängern deshalb nicht, weil es zu komplexe Produkte sind und Fortgeschrittene können immer Alternativen finden. Man kann jedes Zertifikat selbst nachbilden z.B. über Optionen.
Das einfachste Beispiel einer sinnvollen Alternative sind die Indexzertifikate: Es gibt auch ETFs welche ebenfalls den Index nachbilden. Beim ETF aber ist man direkt an den Unternehmen im Index beteiligt, da man an einem Fonds beteiligt ist, der die Aktien wirklich hält. Das Emittentenrisiko ist damit ausgeschlossen. Auch Dividenden bekommt man 1:1 weitergereicht.
Bein Indexzertifikat hingegen hat man nur des Versprechen des Emittenten, immer den Kurswert des Indices für das Zertifikat zu bezahlen. Der Emittent muss dafür nicht zwingend auch die Basiswerte alle halten und wenn er einmal nicht bezahlen kann ist das einfach Pech. (siehe Lehman)



(11.10.2014)

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Michael Gredenberg

Inode-Gründer. Heute u.a. passionierter Radfahrer und Finanzautor via financeblog.at.

>> http://www.financeblog.at


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