Goldgräberstimmung bei Sanochemia? Manche Spekulanten verstehe ich beim besten Willen nicht. Das sind die, die zuletzt noch Jowood oder Teakholz gekauft haben, obwohl sich das Ende dieser Firmen abgezeichnet hat. Oder die jetzt Steinhoff kaufen, weil sie irgendwo ein Fünkchen Überlebensfantasie sehen. Ist Überleben das, was wir von einem Unternehmen erwarten? Oder hätten wir nicht doch lieber noch ein paar zusätzliche Hoffnungen? Tragfähiges Geschäftsmodell, Umsätze, Gewinne. Gestern, 20.2.2020, haben wir eindrucksvoll sehen können, wie Spekulanten ticken können: Kaum spricht man von Kapitalzufuhr (dass Sanierungsplan angestrebt wird, wussten wir seit Dezember) bei Sanochemia, steigt der Kurs der Aktie um mehr als 200% intraday! Insgesamt wurden gestern immerhin 75.167 Stück um 13.387,88 Euro gekauft. Das ist schon ein Batzen Geld. Ich habe von Leuten gehört, die sich gefreut haben, dass sie bei 8 Cents rausgekommen sind. Ich vergönne es natürlich jedem, der es schafft, bei 30 Cents rauszukommen, Sanochemia-Aktionäre sind durch die Bank eh gestraft genug. Möge sich ihr Verlust also verringern, ich gönne es ihnen wirklich.
Aber was treibt jemanden dazu, die alten Sanochemia-Aktien zu 30 Cents zu kaufen? Glaubt jemand wirklich, dass sich das rentieren wird? Das ist fast der vierfache "faire Wert", wenn man von so einem überhaupt sprechen kann. Also, zum Mitschreiben: Die Übernehmer streben einen Kapitalschnitt 12:1 an. Dieser wird sich nicht vermeiden lassen, denn nur nach einem Kapitalschnitt wollen die Übernehmer 1 Euro pro neuer Aktie der AG als neues Kapital zuführen. Ohne Zufuhr neuen Kapitals gibt es keine Sanierung und auch kein Überleben der Sanochemia. Fair wäre jetzt, wenn auch andere Aktionäre zu diesem Preis von 1 Euro pro neuer Aktie einsteigen dürften. Das wollen die Übernehmer mit Hinweis auf die Dringlichkeit verhindern. Dringlichkeit ist gegeben, das wird auch jeder einsehen, denn wenn nicht bald jemand wieder das Steuer bei Sanochemia übernimmt, ist das Unternehmen Geschichte. Denn Kosten laufen an, Erträge fehlen. Natürlich übernehmen diejenigen, die einer insolventen Firma Kapital zuführen, auch das Risiko, dieses Kapital zu verlieren. Dieses Risiko übernehmen allerdings auch diejenigen, die die Aktien am Sekundärmarkt kaufen. Noch mehr, wenn sie das Vierfache des "fairen Werts" zahlen. Der "faire Wert" einer alten Sanochemia-Aktie muss unter 8,3 Cents liegen. 1 Euro dividiert durch 12 ergibt 8,3 Cents. Und selbst dieser "faire Wert" würde den Aktienkäufer gegenüber dem Aktienzeichner noch benachteiligen, denn wer vor dem 3. März kauft, nimmt noch das Risiko in Kauf, dass der Sanierungsplan abgelehnt wird. Zusätzlich hat er auch danach noch das Risiko, dass das zugesagte Kapital (aus welchen Gründen immer, z.B. könnte sich die Situation des insolventen Unternehmens noch weiter verschlechtert haben) dem Unternehmen schlussendlich doch nicht zugeführt wird. Diese beiden Risiken haben die Zeichner wenigstens nicht. Denn deren Geld wird nur fließen, wenn alles plangemäß verläuft. Daher ist eine Altaktie, die man derzeit kauft, jedenfalls um einiges weniger wert als 8,3 Cents. Am saubersten wäre noch, das Geld der kleinen Aktionäre direkt ins Unternehmen zu stecken, als Teil der Kapitalerhöhung. Man weiß derzeit ja sowieso nicht, ob noch weitere Kapitalerhöhungen notwendig sind. In diesem Fall würde auch der Kleinaktionär ohne diese beiden Zusatzrisiken zu fairen Konditionen zu Aktien kommen. Wenn entweder der Sanierungsplan abgelehnt oder das Geld der Großen abgesagt wird, bräuchte auch der Kleine sein Geld nicht hergeben.
Natürlich werde ich die irrationalen Kursbewegungen weiterhin beobachten, so etwas ist ungleich spannender als die Charts anderer Aktien. Ich hoffe, jeder Kleinanleger kann nachvollziehen, was ich vermitteln will: dass schon ein Betrag von 8,3 Cents für eine an der Börse gekaufte Aktie ungerechtfertigt hoch ist. Ich hatte gestern auch Gelegenheit, mit einigen Sanochemia-Aktionären zu sprechen, der Unmut teilt sich salomonisch in Richtung Frantsits und Bender auf. Die Hoffnung, dass die Kleinaktionäre nicht zur HV kommen, wird sich zerschlagen, alle mir bekannten Kleinaktionäre haben Lust, ihre Meinung auf der HV zu äußern. Vielleicht gelingt es ja noch, vorher mit ihnen zu kommunizieren, sie ins Boot zu holen, dann kann es eine unaufgeregte HV werden.
(Der Input von Günter Luntsch für den http://www.boerse-social.com/gabb vom 21.02.)
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