Ich fuhr auf einer Bundesstraße. Mein Vordermann bremste ohne ersichtlichen Grund ab. Ich stieg in die Eisen und konnte einen Auffahrunfall gerade noch verhindern. Meinem Vordermann wünschte ich die Pest an den Hals. Er fuhr seelenruhig weiter.
Ich hätte es gern gesehen, wenn in dem Moment zwei Zahlungstransaktionen gelaufen wären. Erstens eine Kompensation für meinen Ärger und zweitens eine Mikrozahlung für den zusätzlichen Verschleiß der Bremsen, beides bezahlt vom Fahrzeug meines Vordermannes.
Geht nicht? Hier kommt die New Economy 2.0. Digitale Token werden in der Lage sein, so genannte M2M- (Maschine-zu-Maschine) Transaktionen vorzunehmen. Eine Maschine zahlt an eine andere Maschine, das Stichwort lautet Internet der Dinge. Ein Auto kommuniziert mit dem Parkhaus, das autonome Taxi rechnet automatisch ab. Die Wertschöpfung in Produktions- und Lieferketten kann sofort erfolgen, nicht erst zusammengefasst am Monatsende. Eine In-Rechnung-Stellung im konventionellen Sinne entfällt.
Bitcoin hat im M2M-Bereich mehrere Nachteile. Der Versand von Bitcoin ist zwar flott, aber es braucht mindestens drei Bestätigungen. Das kann zwischen 30 und 60 Minuten dauern, manchmal noch länger. Das Bitcoin-Protokoll ist limitiert, zusätzliche Informationen können nicht transportiert werden. Zudem ist der Transfer von Bitcoins mit Kosten belegt, die im Mittel bereits über einem Dollar liegen. Im M2M-Universum, in dem viele kleine Beträge anfallen (Stichwort Micropayments), sind sowohl die Höhe als auch die Ungewissheit über die Transferkosten ein „No Go“-Faktor.
Eine der vielen digitalen Währungen ist IOTA. IOTA wurde speziell für den M2M-Sektor programmiert. Beträge können sekundenschnell transferiert werden, Transferkosten fallen keine an. Obwohl die Währung ausschließlich über die weltgrößte Krypto-Börse Bitfinex mit Sitz in Hongkong gehandelt wird, reiht sich IOTA auf den zehnten Rang der größten Kryptowährungen ein.
Die IOTA-Marktkapitalisierung beträgt 1,37 Mrd. US-Dollar. Das operative Geschäft und die Stiftung von IOTA befindet sich in Berlin. Ethereum – die Nr. 2 nach Bitcoin – basiert ebenfalls auf einer Stiftung, die in Zug/Schweiz eingetragen ist. Ergo: Zwei der Top 10 Kryptowährungen sind im deutschsprachigen Raum verankert.
Noch bis zum April 2017 spielten die sogenannten Altcoins (die digitalen Währungen außer Bitcoin) in der Öffentlichkeit keine größere Rolle. Aber die Altcoins würden nicht existieren, wenn der geniale, noch immer unbekannte Bitcoin-Erdenker nicht eben jene Währung in den Untiefen des Lehmann-Herbstes 2008 als „White Paper“ beschrieben und Anfang 2009 den ersten Handel durchgeführt hätte. Bitcoin wurde bewusst als Alternative zu Notenbanken, Banken und dem Fiat-Geld erschaffen.
Die Funktion von Bitcoin als Wertaufbewahrungsmittel wird in Frage gestellt. Gold sei das einzig wahre Wertaufbewahrungsmittel, und das seit 5.000 Jahren. Dass dies nicht richtig sein kann, zeigt der folgende Vergleich: Als ich meine Test-Bitcoins im Frühjahr 2013 kaufte, kosteten sie pro Stück 250 US-Dollar. Seither ist der Kurs auf über 6.500 Dollar gestiegen. Eine Feinunze Gold kostete im März 2013 1.600 US-Dollar. Der Goldpreis ist seither auf 1.285 US-Dollar gefallen.
Dash wird als das bessere Bitcoin gelobt. Es ist vergleichbar mit Bitcoin, aber privater, da Transaktionen nicht öffentlich sind.
Monero geht in die gleiche Richtung, die Anonymität ist noch etwas höher als bei Dash.
Die Gesamtmarktkapitalisierung der Kryptowährungen beträgt 200 Mrd. US-Dollar. Damit befinden sich die Kryptos auf Augenhöhe mit Coca-Cola. Apple liegt bei 870 Mrd. US-Dollar.
In diesem Zusammenhang erscheinen die folgenden drei Charts von Coinmarketmap.com interessant. Auf dem ersten Chart ist zu erkennen, dass die Marktkapitalisierung noch vor einem Jahr bei nur 10 Mrd. US-Dollar lag (siehe Pfeil folgender Chart).
Der nächste Chart zeigt die Marktkapitalisierung der Altcoins, also der Kryptowährungen mit Ausnahme von Bitcoin. Vor 12 Monaten notierte deren Kapitalisierung bei 2 Mrd. Dollar. Im Zeitraum April bis September 2017 kam es zu einem rasanten Anstieg auf 100 Mrd. Dollar (aktuell: 85 Mrd. US-Dollar).
Ergo: Das Thema Altcoins ist – vorangetrieben durch Initial Coins Offerings (ICOs) und den Anstieg von Ethereum zur aktuellen Nr. 2 – im Verlauf des Jahres 2017 explodiert.
Entsprechend fiel der Bitcoin-Anteil an der Gesamtmarktkapitalisierung der Kryptowäh-rungen von 85 Prozent im Frühjahr 2017 auf unter 40 Prozent im Sommer (folgender Chart).
Der überproportional starke Bitcoin-Anstieg der vergangenen Wochen hat den Bitcoin-Anteil wieder auf 60 Prozent anwachsen lassen.
Das Jahr 2017 ist das Jahr des Übergangs zur Phase II. In der ersten Phase von 2009 bis 2017 ging Bitcoin durch ein stählernes Bad (Diebstähle, Unsicherheiten, Börsenpleiten, Verbote, Anfeindungen, Unglaube, Ponzi-Schema etc.) Nichts davon hat Bitcoin zerstört, immer wieder kam die digitale Währung zurück. Diese Widerstandsfähigkeit ist es, die Bitcoin jetzt zum Marktführer macht. Eine Vielzahl junger, kreativer Köpfe hat das Feld betreten und möchte eigene Ideen umsetzen.
In der Phase II sollte das Meer zunächst alle Boote heben, weil täglich Milliarden US-Dollar in den Markt der Kryptowährungen fließen. Dieser Markt profitiert nicht zuletzt vom Zinsumfeld, vom Anlagenotstand. Der Anleihemarkt trocknet aus, die Aktienmärkte sind bereits deutlich gestiegen, also wohin mit der reichlich vorhandenen Liquidität? Da kommt der Markt der Kryptowährungen gerade recht. Man sollte jetzt seine Chips platzieren, sofern man es noch nicht getan hat. In der November-Smart Investor-Beilage zum Thema Bitcoin beschreibt Florian Grummes einige interessante Altcoins.
In der Phase III wird sich die Spreu vom Weizen trennen. Dann heißt es Amazon oder Pets.com (IPO 1998, Pleite in 2000), Google oder Telekom (Hoch bei 90 Euro im März 2000). Ist beispielsweise Monero das digitale Währungs-Amazon, oder bleibt Bitcoin Marktführer? Hier sollte man auf die relative Stärke der Währungen schauen. In dieser Phase müssten sich zwei oder drei Währungen besonders hervortun, die möglicherweise unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Die eine Währung bedient den M2M-Markt, die andere den Konsumsektor, wie auch immer.
Wie kann es sein, dass digitales Geld mit dem Fiat-Geld konkurriert? In den Monero-FAQs findet sich die Antwort: „Monero hat einen Wert, weil Leute gewillt sind, Monero zu kaufen. Wäre niemand gewillt, hätte Monero keinen Wert. Moneros Preis steigt, wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt, und er fällt, wenn das Angebot die Nachfrage übersteigt.“ So einfach ist es.
Werden Dollar und Euro damit überflüssig? Das hängt von den Transaktionskosten und den Transaktionszeiten ab. Die Kryptobörse Coinbase, die jüngst an einem einzigen Tag 100.000 Kontoeröffnungen verzeichnete, bietet den Bitcoin- und Ethereum-Kauf bequem per Kreditkarte an. Das geht flott, hat aber seinen Preis. 4 Prozent sind eine Menge Schwund, um Fiat-Euros in digitale Bitcoin zu verwandeln. Diejenige digitale Währung, die es schafft, mit minimalen – oder keinen – Transaktionskosten unter Aufrechterhaltung der Privatsphäre in Echtzeit Geld sicher zu bewegen, und das unter höchster Skalierbarkeit, dürfte ganz vorn mit dabei sein. Bevor die Privatpersonen die Vorteile des digitalen Geldes entdecken, könnten es Unternehmen tun, indem sie es in ihrer Wertschöpfungskette verbauen. Von dort aus könnte das digitale Geld seinen Siegeszug in den Konsumsektor antreten.
Der Vorteil, jetzt schon alles per Bitcoin zu bezahlen, ist einfach zu gering, weil auch dort Gebühren anfallen und die Zahlungsbestätigung beispielsweise nicht in Echtzeit an der Kasse erfolgen kann. Bis die drei erforderlichen Bestätigungen kommen, hat sich schon eine lange Schlange gebildet.
Wo kann man die digitalen Währungen handeln? Bitcoin.de ist in Deutschland die erste Adresse, dort gibt’s Bitcoin und Ethereum. Coinbase hält das gleiche Paar vor, die Nutzerfreundlichkeit der Website ist für den Anfänger einfach sehr gut. Eine Vielzahl von Börsen existieren. Erwähnenswert ist, dass beispielsweise IOTA nur über Bitfinex zu erwerben ist. Für einen Europäer ist der Weg des Kaufes von IOTA mühsam. Er eröffnet bei Bitcoin.de oder Coinbase oder einer anderen Börse ein Konto, kauft dort Bitcoin, transferiert diese auf Bitfinex. Dort erwirbt man für Bitcoin IOTA.
Ob eine Bitcoinblase im Jahr 2020 platzt, wer weiß das schon.
Es erscheint aber möglich. Gold, Nikkei und die Tech-/Internet-Werte haben ihre Talfahrten jeweils am Ende einer Dekade angetreten. In der Analogie zur Tech-Blase würden wir uns im Jahr 1997 befinden. Also könnte noch zwei Jahre lang die Post abgehen. Allen, die sich in diesem Markt bewegen, muss allerdings klar sein, dass Verluste bis zum Totalverlust auftreten können.
Fassen wir zusammen: In der ersten Marktphase (Januar 2009 – März 2017) dominierte Bitcoin. In der zweiten Phase, die im April 2017 begann, drängen die Altcoins nach vorn. Sie kämpfen um Aufmerksamkeit und Marktanteile. Es ist ein darwinistischer Kampf. Die besten Ideen und praktikabelsten Geschäftsmodelle werden belohnt, und die Belohnung ist gewaltig. Die Krypto-Welt wird nicht verschwinden. Es gilt, sie zu verstehen und die Chancen zu nutzen.
Disclaimer: Ich besitze zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels (10.11.2017) Bitcoin, Bitcoin Cash, Ethereum, Dash, Monero und IOTA.
Ein Beitrag von Robert Rethfeld.
Robert Rethfeld betreibt den Börsendienst Wellenreiter-Invest. Kernprodukt ist ein handelstäglich erscheinender, abonnementsbasierter Börsenbrief. Seit Ende der 80er Jahre lebt er im Vordertaunus, zunächst in Bad Homburg und seit dem Jahr 1999 in Oberursel. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder und hält sich durch Laufen im Taunus sowie durch Golfspielen fit.
P.S. Ein kostenloses 14tägiges Schnupperabonnement erhalten Sie unter www.wellenreiter-invest.de
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