Bei Anleihen ist die Risikokurve lächerlich flach (Max Otte)

Sehr geehrte Privatanleger, 

Sicherheit ist weiter höchstes Gebot. Leider ist Sicherheit der Kapitalanlage in einer unsicheren Zeit nicht einfach. Sicher sind Sie eben nicht, wenn Sie sich „sicher fühlen“, sondern wenn Ihre Anlagen angesichts der zu erwartenden Turbulenzen und Stürme bestmöglich aufgestellt sind.

Sicherheit kann in einer solchen Situation nur relative Sicherheit bedeuten, nämlich dass Ihr Vermögen bestmöglich gestreut und aufgestellt ist, um die größtmögliche Anzahl von Schocks aus verschiedenen Richtungen bestmöglich zu überstehen. Dazu müssen die Risiken und Chancen nach ihrer Art erkannt und dann bewertet werden. Das ist nicht einfach und macht einen Großteil des erfolgreichen Fonds- und Portfoliomanagements aus. Viele Menschen streben gerade bei der Kapitalanlage nach der absoluten Sicherheit – und fallen damit regelmäßig auf die Nase, verdrängen es dann und machen weiter wie zuvor.

Konkret beschäftigt mich schon lange die sogenannte „Risikokurve“. Die Risikokurve beschreibt, wie viel mehr Rendite ich bekomme, wenn ich mehr Risiko eingehe. Diese Kurve kann „flach“ sein (= ich bekomme nur wenig mehr Rendite, wenn ich ein höheres Risiko eingehe) oder „steil“ (= ich bekomme sehr viel mehr Rendite, wenn ich ein etwas höheres Risiko eingehe).

Bei Anleihen ist die Risikokurve lächerlich flach. Aufgrund der Nullzinspolitik der Notenbanken wird das höhere Risiko bei lang laufenden Anleihen schon lange nicht mehr angemessen vergütet. Für eine Restlaufzeit von 20 Jahren gibt es gerade mal 1 Prozent mehr als bei einem Jahr. (Abgesehen davon, dass 0,4 Prozent Verzinsung pro Jahr bei einer Restlaufzeit von 20 Jahren und Minus 0,6 Prozent bei einer Restlaufzeit von einem Jahr lächerlich niedrig ist.)

Nun sieht die Kurve gar nicht so flach aus. Das liegt aber nur an der Darstellung: Die gesamte Renditedifferenz zwischen einer kurz laufenden und einer 30jährigen Anleihe beträgt nur 1,2 Prozent. Der Anleihenmarkt ist doppelt so groß wie der Aktienmarkt. Die Besitzer von Staatsanleihen, Kontoguthaben und Lebensversicherungen ( = Geldforderungen) müssen verlieren! Das habe ich auch noch einmal sehr deutlich in Kapitel 2 der komplett überarbeiteten Neuausgabe von „Investieren statt Sparen“ herausgearbeitet, die in diesen Tagen erscheint.

Bei den Aktien sieht es allerdings genau anders herum aus: Etwas mehr Risiko wird mit massiven Preisabschlägen und damit einer sehr viel höheren erwarteten Rendite bezahlt. Mit anderen Worten: Aktien mittlerer Qualität sind viel, viel billiger als Aktien höchster Qualität, die zum Teil mit KGVs von 20 oder 25– also Gewinnrenditen von vier bis fünf Prozent – gehandelt werden. Das ist immer noch billiger als die Multiplikatoren von 35, die mittlerweile für Top-Immobilien in München gezahlt werden. All dies ist auch eine Folge des billigen Geldes. 

Qualitätsaktien sind noch nicht deutlich überbewertet. Das waren sie 1973 in den USA, als die Nifty-Fifty auf dem Zenit waren und Johnson & Johnson (WKN: 853260) zum Beispiel mit 55 bewertet war. Schon vor zwei oder drei Jahren machte ich mir Sorgen, dass die Bewertungsgrenzen langsam dünn würden. Aber immer niedrigere Zinsen ließen Unternehmen mit stabilen Geschäftsmodellen und Erträgen immer attraktiver erscheinen. Nestlé (WKN:A0Q4DC) kann auch noch ein KGV von 30 erreichen. Warum nicht. Aber das wäre dann eben eine Gewinnrendite von nur noch 3,3 Prozent. Wenn Nestlé mit 3 Prozent organisch wächst, käme dann eine erwartete Rendite von 6,3 Prozent heraus. Nicht schlecht, aber nicht angemessen für ein Aktieninvestment.

In den letzten Jahren sind vor allem die Deflationsgewinner gelaufen – Unternehmen mit einem stabilen Geschäftsmodell und stabilen Erträgen. Irgendwann müssen auch „normale“ Unternehmen wieder anziehen – und auch die Inflationsgewinner. Dazu gehören auch Rohstoff- und Goldtitel.

Das Problem ist: Wann? Schon seit Jahren beschäftigt mich diese Frage und die Nestlés dieser Welt laufen mit kleinen Abstrichen immer weiter. Letztlich kann diese Frage niemand beantworten. Meine Strategie ist: mit steigenden Bewertungsniveaus der Qualitätstitel zunehmend andere Titel hinzunehmen.

Erinnern Sie sich an einen bestimmten Aktienclub aus dem süddeutschen Raum, der in den 90er Jahren mit dem Slogan warb: „Jeder Tag ein Kauftag“? Nun, das Ganze ging bis zum Jahr 2000 gut – und dann stürzten ach so hoch gelobte Titel wie Microsoft (WKN: 870747), Nokia (WKN: 870737), Cisco Systems (WKN: 878841) und auch Klassiker wie Coca-Cola (WKN: 850663) massiv ab. Auch Qualitätstitel können zu teuer werden. Wir bleiben wachsam! 

Gerne werden wir auch nach dem „Drehbuch für das Endspiel“ gefragt. Leider gibt es kein voraussehbares Endspiel. Sicher ist, dass die Schulden auf der Welt reorganisiert werden müssen. Sicher ist, dass hierzu immer mehr die Macht- anstelle der Marktwirtschaft zum Tragen kommt. Sie müssen sich also fragen, wer die stärksten politischen und wirtschaftlichen Akteure sind und wie die Interessenlage dieser Akteure ist. Angesichts dieses Ausblicks ist es sinnvoll, sich zu überlegen, welche Interessen die Superreichen – die 0,1 Prozent der Weltbevölkerung – haben und wie sie investieren. Und da heißt die Devise nach wie vor: Sachwert schlägt Geldwert.

Auf gute Investments!

Ihr

Prof. Dr. Max Otte

Hinweis:

Bei diesem Beitrag von Prof. Dr. Max Otte handelt es sich um einen Auszug aus unserer brandneu erschienenen Jahresspezialausgabe. Die vollständige über 190-seitige Spezialausgabe mit 20 Aktienanalysen und vielen weiteren Tipps für Ihre Vermögensaufstellung ist ab sofort im Einzelbezug unter +49 221 998019-16 oder service@privatinvestor.de für 99,- EUR je Exemplar bei uns erhältlich.

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Ihre Redaktion Der Privatinvestor 

Hinweis/Disclaimer: 

Prof. Dr. Max Otte berät beziehungsweise Unternehmen, an denen Prof. Dr. Max Otte beteiligt ist, beraten den PI Global Value Fund (WKN: A0NE9G) und den Max Otte Vermögensbildungsfonds (WKN: A1J3AM). Diese beiden Fonds könnten Positionen in Titeln halten, die in dieser Kolumne genannt sind. 

Für den Fall, dass Leser dieser Kolumne Positionen in einen genannten Titel in einem Umfang erwerben, der dazu geeignet ist, den Preis des Titels zu beeinflussen, könnte der Verfasser dieser Kolumne und / oder einer beziehungsweise beide die Fonds im Falle der Veräusserung des Titels aus deren Portfolio nach einem solchen Kursanstieg vom Erwerb des Titels durch die Leser der Kolumne profitieren. Auch im Falle eines Verkaufs in einem entsprechenden Umfang durch Leser der Kolumne könnte der Verfasser dieser Kolumne und / oder einer beziehungsweise beide Fonds von fallenden Kursen durch günstigere Einstiegskurse im Falle eines späteren Kursanstiegs profitieren.

© DER PRIVATINVESTOR; www.privatinvestor.de

  

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(24.10.2016)

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Max Otte

Prof. Dr. Max Otte promovierte in Princeton und lehrte Betriebswirtschaft an den Hochschulen/Universitäten Worms, Boston, Würzburg und Graz.
Seit 15 Jahren hat er sich voll und ganz dem Privatanleger verschrieben. Sein Ziel: 
Eine bankenunabhängige und nachvollziehbare Aktienanalyse auf Basis wertorientierter Kapitalanlage. Kern seines Strategieansatzes ist die von ihm entwickelte Methode der Königsanalyse®.
In seinem Buch „Der Crash kommt“ prognostizierte Max Otte bereits im Sommer 2006 die internationale Finanzkrise von 2008. Daneben hat der dreimalige „Börsianer des Jahres“ mehr als ein Dutzend weiterer Bücher sowie zahlreiche Artikel in Zeitungen und Fachblättern veröffentlicht. Regelmäßig wird er von den Medien zu Anlage- und Währungsfragen interviewt.
Max Otte ist Gründer der in Köln ansässigen IFVE Institut für Vermögensentwicklung GmbH, die seinen wöchentlichen Börsenbrief Der Privatinvestor herausgibt, sowie Gründer und Mitglied im Verwaltungsrat der in Zug (Schweiz) ansässigen Privatinvestor Verwaltungs AG. Der PI Global Value Fund, der Max Otte Vermögensbildungsfonds und der Max Otte Multiple Opportunities Fund werden gemäß seiner Strategie der Königsanalyse® verwaltet.

>> http://www.der-privatinvestor.de


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