So, nach ein paar Tagen gibt es nun die Lösung für das „große Ratespiel“ im Bargain Magazine. Es gab zwei Gründe, warum ich den Artikel letztens so geschrieben habe, wie er eben geschrieben ist. Erstens wollte ich mal austesten, ob man mir hier ernsthaft die Stellung einer auf Basis der gegebenen Informationen rational völlig sinnlosen Frage zutraut. Schließlich kann man natürlich ohne Einblick in das Geschäftsmodell und ohne weiteres Zahlenmaterial keine vernünftige Antwort auf die gestellte Frage geben. Nun, da mir der eine oder andere das anscheinend zutraut, muss ich mir vielleicht Gedanken darüber machen, ob ich in meinen Gefühlen verletzt sein sollte :-)
Der zweite Grund ist, weil er einfach als Überleitung zu dem Thema herhalten soll, das ich eigentlich ursprünglich schon letzte Woche ansprechen wollte. Dieses Thema ist meine Verwunderung über die Betriebsblindheit, die zuweilen am Aktienmarkt und bei den damit assoziierten Medien vorherrscht. Überlegt Euch mal: Würde Euch jemand fragen, mit welcher betriebswirtschaftlichen Kennzahl sowohl Kurs als auch innerer Wert einer einzelnen Aktie langfristig am stärksten korreliert, was würdet Ihr antworten? Der absolute Jahresumsatz und dessen Wachstum? Das bereinigte EBITDA? Der Free Cashflow pro Aktie? Oder vielleicht die Gewinne je Aktie? Ich muss sagen, dass auf jeden Fall die letzten beiden aus meiner Sicht das Rennen machen werden. Wenn ich zwischen den beiden aber wählen muss, erfordert das etwas Kopfzerbrechen. Schweren Herzens würde ich mich für die Gewinne je Aktie entscheiden. Warum? Auf lange Sicht sollte jede Divergenz zwischen tatsächlich freiem Cashflow und den berichteten Gewinnen, ob nun nach oben oder nach unten, zu entsprechend veränderten Gewinnen führen. Es muss nicht heißen, dass sich diese beiden Kennzahlen schlussendlich decken müssen, die erste bedingt langfristig aber die Entwicklung der zweiten. Insofern läuft also alles auf die Gewinne pro Aktie hinaus. Auf die Entwicklung dieser Kennzahl sollte man also als Investor besonderes Augenmerk legen. Es ist nämlich sehr, sehr selten, dass über zehn Jahre gesehen die Gewinne pro Aktie deutlich zulegen, der Aktienkurs im selben Zeitraum aber fällt. Das kommt für gewöhnlich dann vor, wenn am Beginn dieses Zeitraumes absurde Multiples bezahlt wurden (wie beispielsweise am Peak der Dotcom-Blase).
Das erste Unternehmen aus dem Ratespiel, dessen „Performance“ Ihr hier noch mal nachlesen könnt, eignet sich möglicherweise für so eine Ausnahme. Da es in diesem Artikel auch um die Betriebsblindheit der Finanzmedien geht, gebe ich die Headline eines Pressebeitrages (vorerst anonymisiert) wieder: „xxx mit Umsatz- und Gewinnsprung: Aktie steuert Rekordhoch an“. Hä? Ein Wachstum von 3 Prozent bei den Gewinnen pro Aktie? Was ist das denn für ein Sprung? So genau muss man anscheinend nicht mehr hinsehen, wenn man Presse macht. Vor allem dann nicht, wenn es um Facebook geht, also um eines jener Unternehmen, wo sich neben Amazon, Microsoft und Google ohnehin schon alle einig sind, dass sie in Zukunft die Welt beherrschen werden. Aber Moment mal, Facebook hat doch ein viel größeres Wachstum? Ja und nein. Der Umsatz von Facebook hat im Quartalsvergleich um 41 Prozent zugelegt, das ist richtig. Der Gewinn des Konzerns hat um 11 Prozent zugelegt. Meine Güte, wie kann so etwas geschehen? Kostet es etwa Geld, Facebook zu betreiben? Ja. Und zwar eine Menge. Es mag den einen oder anderen „jüngeren“ Marktteilnehmer überraschen, aber das Gesetz der Größe gilt auch für die New Economy. Facebook muss mehr Mitarbeiter bezahlen, die Infrastruktur vergrößern, mehr Geld in R&D investieren, höhere Rechts- und Beratungskosten in Kauf nehmen. All das muss ein Unternehmen tun, wenn es wächst. Und diese Dinge verschlingen proportional immer mehr Geld, je größer die Vergleichsbasis wird. Die Gewinne pro Aktie sind schließlich mit mageren 3 Prozent gewachsen, weil die verwässerte Aktienanzahl von 2,64 auf 2,86 Milliarden Stück gestiegen ist. Der Großteil des wachsenden Umsatzes geht dafür drauf, den Umsatz weiter wachsen zu lassen, und der Großteil des kleinen Teils, der übrig bleibt, geht als Bezahlung für die drauf, die den Umsatz erfolgreich weiter wachsen lassen. Dem Markt in seiner unendlichen Weisheit ist das aber wurscht, weil er Facebook trotzdem fast mit einem Faktor 100 der hochgerechneten, verwässerten Gewinne pro Aktie bewertet. Zumindest, wenn man so frech ist, und die GAAP-Gewinne heranzieht. Aber wen interessieren schon Gewinne pro Aktie, wenn man über eine Milliarde Nutzer weltweit hat. Ob die nun was zahlen, oder nicht.
Der eine oder andere hat es im Ratespiel schon richtig vermutet: Unternehmen 2 ist IBM. Ich will hier nicht wieder in Lobhudelei für meine IBM-Position verfallen, sonst vergraule ich noch all jene Leser, die mir trotz meiner absichtlichen dämlichen Frage im Ratespiel bis hier her noch die Treue gehalten haben. Falls an dieser Stelle jemand mitliest, der meine subjektive Lobhudelei noch nicht kennt, kann sie gerne hier zu großen Teilen nachlesen. Wenn man die -13% im Quartalsvergleich bei IBM gesehen hat, kann einen schon die Angst packen und das KGV von ungefähr 10 bis 11 (bezogen auf die GAAP-earnings) noch ambitioniert aussehen lassen. Insbesondere könnte man unter sonst gleichen Bedingungen und angesichts der Tendenz der Wachstumsraten, (natürlich wenn sie denn über einen längeren Zeitraum so beibehalten werden), dazu neigen, für IBM kaum mehr zu bezahlen, als für Unternehmen 3 in der Liste des Ratespiels. Dessen Gewinne wachsen schließlich mit 15% pro Jahr. Selbst wenn der Firmenname nicht auf „ook“, „oogle“, „zon“ oder „soft“ endet, erachtet man für Technologieunternehmen mit solchen Wachstumsraten – auch angesichts des dauerhaft niedrigen Zinsniveaus – gut und gerne einen 20er-Gewinnmultiple als „fair“. Nicht, dass man als Value Investor unbedingt so einen Preis zahlen muss, aber für ein gutes Unternehmen könnte das sogar Sinn machen. Soweit, so gut: nun wollen natürlich alle wissen, wer sich hinter Unternehmen 3 verbirgt, sonst bringt der ganze Artikel hier überhaupt keinen Nutzen. Darum lüfte ich das Geheimnis: Unternehmen 3 ist ebenfalls IBM. Aber eben nur ein Teil davon, den ich als „good IBM“ bezeichnen werde. Ich habe die Umsätze, die man mittlerweile im Bereich der „strategic imperatives“, also Cloud, Business Analytics, Mobile und Security macht (ca. 30 Mrd. in 2015), mit der Konzerngewinnspanne (ungefähr 15%) in Verbindung gesetzt und bin so auf die Gewinne pro Aktie aus diesem Bereich gekommen. Darf ich das machen? Schließlich liefert IBM keine Zahlen, wie profitabel oder unprofitabel die neuen Geschäftsbereiche tatsächlich sind. Ein Indiz finde ich zumindest dafür, dass meine Annahmen konservativ und somit brauchbar sind. Gehen wir fiktiv davon aus, „good IBM“ wäre wesentlich unprofitabler, als „bad IBM“, sagen wir mit einer Nettogewinnspanne von nur 8%, würde das im Umkehrschluss heißen, dass die Nettogewinnspanne von „bad IBM“ angesichts der vorliegenden Zahlen bei gut 20% liegen müsste, oder deutlich höher, als beispielsweise 2008 bis 2010, wo es „good IBM“ noch gar nicht wirklich gab. Das halte ich nicht für realistisch.
Es gibt also einen umsatzmäßig noch kleineren Bereich, der für den Aktienmarkt durchaus „chic“ sein könnte, und einen umsatzmäßig größeren Teil, der für die Wallstreet und ihre damit zusammenhängende Berichterstattung gewaltig stinkt. Diese Ansicht führt dazu, dass man beinahe gewillt ist, für das ganze weniger zu bezahlen, als für die isoliert betrachteten Einzelteile. Das Problem, das IBM definitiv hat, ist, dass „good IBM“ zu einem gewissen, nicht unwesentlichen Teil zu Lasten von „bad IBM“ wächst. Einfacher formuliert: Teile der Umsätze aus dem konventionellen Geschäft fallen natürlich weg, wenn neue Dienstleistungen verkauft werden, die jene konventionellen Dinge obsolet machen. Man verkauft logischerweise weniger lokale Server, wenn mehr IT-Infrastruktur outgesourct wird. Die erste Frage, die man sich in diesem Zusammenhang stellen muss, ist, ob das eine das andere völlig ausschließt, ob also jedes konventionelle Produkt/Service von IBM durch die neue Produktpalette obsolet wird. Davon gehe ich persönlich nicht aus. Erstens sind viele konventionelle Service- und Consulting-Umsätze noch auf viele Jahre im Vorhinein kontrahiert und fallen nicht einfach so weg. Zweitens sehe ich keineswegs den Trend, dass jedes Unternehmen auf diesem Erdenrund in zehn Jahren auf herkömmliche IT-Infrastruktur und die damit notwendigerweise zusammenhängende Beratung und Wartung verzichtet haben wird. Das geht weder aus Praktikabilitätsgründen, noch aus Sicherheitsgründen. Eine weitere Überlegung lässt sich noch ableiten: Was passiert, wenn dieser ganze „Cloud- und Big-Data“-Hype sich in den nächsten Jahren abkühlt? Was, wenn die Hunz und Kunz Autohandels OG in zehn Jahren alle ihre Daten noch immer lokal und nicht in der Wolke haben wollen? Nun, dann ergibt sich aus der Komplementarität der Dienstleistungen von IBM eine natürliche Absicherung, die jene Unternehmen, die jetzt übermäßig von Big Data profitieren, nicht haben.
Nochmal zurück zum „Markt“ und den „Medien“: Einer, der an der Wall Street und bei ihren Berichterstattern sehr viel Gehör bekommt, ist Stanley Druckenmiller. Von dem gibt es ein interessantes Video, in dem er sich zum wiederholten Male zu den Gründen dafür äußert, warum er IBM shortet. Seine Kritikpunkte an IBM sind kurz zusammengefasst Folgende:
Das sind harsche Kritikpunkte. Sie machen für mich als Außenstehenden nur überhaupt keinen Sinn:
Man kann aus der hier schon diskutierten Berichterstattung schon herauslesen, worauf die Wall Street kurzfristig schaut: absolutes Umsatzwachstum und meinetwegen noch absolutes Gewinnwachstum. Wollte IBM wirklich die kurzfristigen Analystenschätzungen permanent übertreffen und den Aktienkurs kurzfristig pushen, hätte man derzeit zig Milliarden Dollar, die man für Übernahmen und sonstigen Umsatzsteigerungen ausgeben könnte. Damit könnte man dieses Ziel wesentlich besser erreichen. Das Übertreffen der Analystenschätzungen bei den Gewinnen könnte auch einfach bedeuten, dass die Analysten seit Jahren IBM gegenüber äußerst bearish eingestellt sind.
Dass die relativen R&D-Aufwendungen gesunken seien, ist schlichtweg falsch. Sie pendelten in den vergangenen Jahren immer bei ungefähr 6% des Umsatzes. In Q3 2015 lag diese Zahl bei 6,7%, year-to-date bei 6,5%.
Dass man Aktienrückkäufe zu einem bestimmten Preis macht und der Kurs danach fällt, ist wohl überhaupt kein Argument. Buffett hat auch zu ähnlichen Preisen (weiter) zugekauft. Wenn man als Management eines Unternehmens sieht, dass der bekannteste Investor der Welt zu einem Preis X das eigene Unternehmen kauft, ist meines Erachtens die Schlussfolgerung zulässig, dass zum Preis von X der eigene Aktienkurs nicht hemmungslos überbewertet ist. Und darum geht es schließlich bei Aktienrückkäufen wirklich: in das eigene Geschäft zu investieren, wenn es fair oder sogar unterbewertet ist, und nicht darum, den Kurs zu stützen.
Beim letzten Punkt ist wie ich finde ein Funken Wahrheit dahinter. Es ist heute sicherlich leichter, in gewissen Branchen Unternehmen zu gründen, weil man dafür weniger IT-Infrastruktur lokal verfügbar braucht. Das alte Kerngeschäft von IBM betrifft aber ohnehin nicht die Unterstützung von Startups. Es geht darum, großen Konzernen Lösungen für die Vereinfachung und Effizienzsteigerung komplexer informationstechnologischer Prozesse zu bieten, die für die Abwicklung ihrer Geschäfte notwendig geworden sind. Das macht IBM und hat dafür einen guten und vor allem engen Draht zu den Unternehmen. Das macht zu einem gewissen Grad auch Amazon. Dieser Markt ist aber kein „winner takes all“-Geschäft, sondern verträgt durchaus ein Oligopol.
Glaube ich nun, dass Druckenmiller sein Handwerk nicht (mehr) versteht? Keineswegs. Ich gehe davon aus, dass er diese Dinge, die ich mir jetzt aus dem tippenden Handgelenk geschüttelt habe, schon längst weiß. Für einen erfolgreichen IBM-Short muss er aber keineswegs damit Recht behalten, dass IBM „säkuläre“ Probleme habe. Es reicht auch, wenn der Kurs kurzfristig noch weiter nachgibt (zum Beispiel, weil der Dollar durch die Zinswende weiter an Stärke gewinnt). Druckenmiller hat naturgemäß kein Interesse daran, die Probleme bei IBM öffentlich zu verharmlosen. In diesem Lichte der Interessenslagen sollte man diese Aussagen auch betrachten. Es kann durchaus sein, dass der eine kurzfristig recht hat (Druckenmiller, bis er seinen Short covert), und Buffett langfristig (weil die Gesellschaft in 10 Jahren deutlich mehr verdient als heute). Die Finanzpresse freilich, um die es in diesem Artikel auch geht, reißt das aus dem Kontext, und stilisiert so eine Geschichte zu einem Duell der widerstreitenden Interessen hoch.
Lange Rede, kurzer Sinn: es gibt am Aktienmarkt eine „Hui oder Pfui“-Mentalität. Schwarz oder Weiß. Entweder ein Unternehmen ist beliebt, oder es ist unbeliebt. Dazwischen scheint es oftmals für den unbedarften Beobachter nichts zu geben. Blöderweise funktioniert die Welt und auch der Aktienmarkt nicht so. Das Leben besteht aus Grauzonen und Schattierungen. Weder gibt es eine hundertprozentige Gewissheit, dass ein Unternehmen reüssieren wird, noch kann man jetzt mit Sicherheit sagen, dass ein anderes Unternehmen langsam, aber sicher untergehen wird. Der Aktienmarkt meint aber oftmals nur solche Szenarien zu kennen. Mr. Market gesteht einem beliebten Unternehmen die Best Case-Bewertung zu und preist bei einem anderen mit trotziger Gewissheit den stetigen Verfall ein. Das gilt in einer vernetzten Welt wie der heutigen mehr denn je. Wenn man in Windeseile lesen kann, wie überzeugt die ganze Welt von einem bestimmten Unternehmen ist, fühlt man sich in der eigenen Entscheidungskraft sicherer. Durch den schnellen Informationsfluss werden Märkte also immer kurzsichtiger, aber keinesfalls effizienter.
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