Sozialpartnern mangelt es an Fachwissen zur Börse (Wilhelm Rasinger)

Justizminister - bitte aufwachen!

Nach über acht Jahren müder Großkoalition unter Werner Faymann sind in Anbetracht der sich ändernden politischen Strukturen und einem fast wahlfreien 2017 die besten Voraussetzungen gegeben, dass überfällige Reformen umgesetzt werden können. Die Situation am Wiener Kapitalmarkt leidet darunter, dass andere Themen wichtiger schienen als die Notwendigkeit einer gut funktionierenden Börse, die essenziell für den Wirtschaftsstandort ist. Ein besonderes Hindernis ist, dass sich auch die Sozialpartner, allen voran die Wirtschaftskammer, mangels Fachwissen und Praxiserfahrung nicht ernsthaft und mit Nachdruck damit beschäftigen. Unter dem Vorwand des Anlegerschutzes wird zugelassen, dass die Finanzmarktaufsicht (FMA) zu einem bürokratischen Monster wird. Die Folge ist, dass Banken, Versicherungen und Industrieunternehmen darunter stöhnen und sich immer wieder über die kleinliche Beanstandung von Nebensächlichkeiten beklagen. Kleinere Unternehmen ziehen bereits die Konsequenzen und wollen die Wiener Börse verlassen.

  • Trotz mehrfacher Urgenz des IVA gibt es bis heute keine Regeln für ein Delisting zu fairen Bedingungen für den Streubesitz.
  • Die Börsenotiz von Namensaktie ist bis heute nicht geregelt.
  • Die Publizitätsvorschriften, etwa die Veröffentlichung des Jahresabschlusses in der „Wiener Zeitung“, ignorieren die Entwicklungen auf dem elektronischen Sektor.
  • Es gibt bis heute keine wirtschaftlich sinnvolle Bündelung gleichartiger Klagen von Konsumenten und Anlegern (Stichwort: Sammelklagen). 
  • Es ist eine Schande, dass Verfahren wie beispielsweise der Anlegerskandal Meinl bis heute noch nicht abgeschlossen sind. Das Ministerium hat im Interesse des funktionierenden Rechtsstaates die entsprechenden Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Das gehört zu den Aufgaben einer verantwortungsvollen Führung.

Die perfekte Welt gibt es nicht, aber in den westlichen Ländern funktioniert die Aufarbeitung solcher Skandale im Interesse aller - Beklagter, Geschädigter und Öffentlichkeit - wesentlich rascher. Der Justizminister, der aus seiner beruflichen Vergangenheit und wegen der Vielzahl von prominenten Mandanten offenbar viel Verständnis für dieses Klientel entwickelt hat, zeigt sich unverhältnismäßig oft bieder lächelnd bei gesellschaftlichen Events; und spendet weise Worte als Redner bei diversen Veranstaltungen; oder reist zum „Erfahrungsaustausch“ in viele, zuweilen auch sehr weit entfernte Länder.

Doch der Justizminister ist nicht dazu da, bei Popularitätswettbewerben gut abzuschneiden, sondern gerade in bewegten Zeiten sich voll zu engagieren, um den Rechtsstaat zu stärken.



(29.01.2017)

Wilhelm Rasinger (IVA) , (© Martina Draper/photaq)


 Latest Blogs

» Österreich-Depots: Etwas fester (Depot Kom...

» Börsegeschichte 28.11.: conwert, Porr (Bör...

» PIR-News zu UBM, Porr, S Immo, CA Immo, St...

» Nachlese: EVN, FMA, Socgen (Christian Dras...

» Wiener Börse Party #791: Mundart-Folge mit...

» Börse-Inputs auf Spotify zu u.a. Marinomed...

» ATX-Trends: CA Immo, Pierer Mobility, AMAG...

» Wiener Börse Party #790: ATX schwächer, FM...

» Börse Social Depot Trading Kommentar (Depo...

» Börsegeschichten für BoerseGeschichte (Bör...


Wilhelm Rasinger

ist Präsident des IVA, Honorarprofessor für Betriebswirtschaft und Aufsichtsrat bei Wienerberger, Erste Group Bank AG und S IMMO AG.

>> http://www.iva.or.at


 Weitere Blogs von Wilhelm Rasinger

» Gedanken zur Wahl, Erfolge von Schelling (...

In Kürze werden wir voneinemwiderlichenundungustiösen Wahlkampf erlöst sein. Das ...

» Wahl 17 in Österreich – Gefahr einer KESt-...

Fast alle Parteien und wahlwerbenden Gruppen versprechen Steuersenkungen. Ein Ziel sind die hohe...

» Mehr Startups für Wien (Wilhelm Rasinger)

Über das boomende Silicon-Valley, eine Gegend mit hoher Arbeits- und Wohnqualität s&uu...

» Superschlaue à la Ackermann oder Julius Me...

Heile Welt Im Herbst wird in Deutschland und Österreich gewählt. Die Frage ist, ob di...

» Vertrauensverlust für (teure) Unternehmens...

Die Theorie hat sich in den letzten Jahren intensiv mit dem Fachgebiet Unternehmensbewertung bes...