Der deutsche Aktienmarkt ist in Rekordlaune, auch weil der Fundamentalismus auf dem Vormarsch ist. Die Weltwirtschaft scheint endlich wieder an ihre Sturm und Drang-Zeit vor der Finanzkrise 2008 anknüpfen zu können. Und während eine Asien-Krise 2.0 ausbleibt, wächst die Euro-Wirtschaft so stark wie zuletzt 2011 und setzen die USA ihren Wachstumskurs fort. Auch die Notenbanken trüben das positive Aktienbild nicht. Die Bank of Japan betreibt weiter munter Liquiditätsausweitung und die Fed lässt ihren Leitzins zunächst unangetastet. Doch wie ist der neue US-Notenbankpräsident Jerome Powell einzuschätzen? Stellt er ein Aktien-Risiko dar?
Die Weltkonjunktur zeigt wieder Stärke
Die chinesische Wachstumseuphorie ist zwar Geschichte. Und die hohen offiziellen Wachstumsraten Chinas entspringen eher der Märchenwelt als der Realität. Tatsächlich ist ein schrumpfender Anteil neuer Kredite an der chinesischen Wirtschaftsleistung unverkennbar. Doch wie in westlichen Industrieländern setzt auch China die üppige Geldpolitik massiv zur Wirtschaftsstimulierung ein. So werden Reibungsverluste aus der Transformation Chinas vom Schwellen- zum Industrieland, der Immobilienblase und der Überschuldung von Unternehmen und Banken umfänglich geglättet und der Aufbau einer stabilen Binnenkonjunktur unterstützt.
Die Wachstumsraten in der Eurozone zeigen sich nach Jahren der Enttäuschung höchst erfreulich. Hintergrund sind insbesondere starke Nachholeffekte, die von der ultralockeren EZB ausgelöst wurden. In Ermangelung einer ernsthaft betriebenen Reformpolitik – die erst zu selbsttragendem Wachstum führte – sollte die Nachhaltigkeit der Konjunkturrobustheit jedoch nicht überschätzt werden.
Die US-Wirtschaft setzt ihren von einer robusten Unternehmens- und Verbraucherstimmung getragenen, stetigen Wachstumskurs fort. Die jetzt als Entwurf vorgelegte Steuerreform würde der Konjunktur weiteren Auftrieb verleihen.
Von dieser realwirtschaftlichen Stabilisierung erhalten konjunkturzyklische Aktien weltweit Auftrieb. Nach ihrer seit 2011 zu beobachtenden Underperformance gegenüber Defensivaktien hat sich mittlerweile eine eindeutige relative Stärke etabliert.
Die Fed ist der Freund der Aktienmärkte, nicht ihr Feind
Die stabile US-Konjunkturentwicklung rückt eine restriktive Zinspolitik der Fed naturgemäß in den Vordergrund. Und tatsächlich wird die US-Notenbank auf ihrer Sitzung am 13. Dezember im Einklang mit aktualisierten Wachstums- und Inflationsprognosen die dritte Zinserhöhung des Jahres vornehmen.
Jede Art von Zinspanik ist dennoch völlig unangebracht. Zunächst ist dieser Leitzinsanstieg eingepreist. Überhaupt sind vorsichtige Zinserhöhungen Beweise für eine freundliche Konjunktur. Hohe kritische Leitzinsniveaus wie nach der radikalen Erhöhungsphase zwischen 2004 und 2006 wird man aber verhindern, um den früheren geldpolitischen Fehler eines Stimmungseinbruchs in der amerikanischen Industrie zu vermeiden.
Auch der Stimmung am Aktienmarkt sind anfängliche Zinserhöhungen als fundamentale Vertrauensbeweise nicht abträglich. Schädlich werden sie erst dann, wenn sie schmerzhafte Finanzierungsbedingungen erreichen, die über realwirtschaftliche Eintrübungen das Gewinnwachstum der Unternehmen schwächen und Zinsanlagen im Vergleich zu Aktien an Attraktivität gewinnen lassen. Der Aktien-Zinsschock bleibt jedoch aus. Ein vergleichsweise flacher Leitzinserhöhungspfad der Fed ist aktienstützend, nicht -feindlich.
Das ruhige Inflationsumfeld setzt die Fed ohnehin nicht unter Zugzwang. Der Ölpreis verhält sich unverdächtig.
Aber auch strukturell fehlt dem Preisauftrieb die Basis. Der größtenteils im Niedriglohnsektor stattfindende Beschäftigungsaufbau sowie die zunehmende Globalisierung und Digitalisierung behindern lohnseitigen Preisdruck deutlich.
Es ist zu erwarten, dass die US-Notenbank zukünftig ihre Zinspolitik an der Inflation ausrichtet. Das reale Zins- und Anleiheumfeld in den USA würde sich damit wie bisher um die Nulllinie bewegen. Das ist keine restriktive Zinspolitik. Zum Vergleich: Die Deutsche Bundesbank hat immer Wert darauf gelegt, dass ihr Leitzins oberhalb der Inflation lag.
Jerome Powell als neuer Fed-Präsident – Alter Wein in neuen Schläuchen?
Mit Jerome Powell als Nachfolger Janet Yellens als US-Notenbankpräsident setzt die Trump-Regierung auf geldpolitische Kontinuität. Ähnlich wie Yellen gilt Powell als „Taube“. Jede nachteilige Irritation seitens der Fed auf die Kapitalmärkte wird verhindert. Und da Präsident Trump ebenso die drei aktuellen Vakanzen im Fed-Direktorium mit Tauben besetzen will, werden auch zukünftig Entscheidungen der Notenbank konjunktur- und aktienfreundlich ausfallen.
Kein Präsident hat Interesse an konjunkturschädlichen Falken bei der Fed. Daher hat sich Trump bei der Yellen-Nachfolge sehr bewusst gegen Professor John Taylor entschieden. Die Gefahr, dass ein verkopfter Wissenschaftler eine strikt modelltheoretische regelgebundene Zinspolitik verfolgt, die auf eine vergleichsweise straffe Geldpolitik hinausläuft, wollte die US-Regierung nicht eingehen. Man erinnerte sich wohl an Ben Bernanke – Vorgänger von Frau Yellen – der ebenfalls als Professor seine Zinstheorien in die Praxis umsetzte. Mit seinen robusten Erhöhungen des Notenbankzinses platzte 2008 schließlich die Immobilienblase. Mit Powell hat man sich für Pragmatismus und gegen Theorie entschieden.
Ein Unterschied zu Janet Yellen ist jedoch, dass Powell der Wieder-Deregulierung der Wall Street-Banken deutlich offener gegenüber steht. Ein ehemaliger Investmentbanker macht aus seinem Herzen eben keine Mördergrube. Der von Trump gewünschten Bankenderegulierung dürfte daher zukünftig wenig im Wege stehen. Eine Lockerung der sog. Volcker-Rule, wonach der Eigenhandel bislang untersagt wurde, würde zu einer Gewinnerholung der US-Banken führen.
Über Deregulierung wird nicht zuletzt deren globale finanzwirtschaftliche Bedeutung gestärkt. Je deregulierter, ertragreicher und damit mächtiger US-Banken sind, umso mehr sind sie der regulierten, ertragsschwachen und angeschlagenen europäische Konkurrenz überlegen. Mit dieser erneuten Destabilisierung der amerikanischen Bankenwelt können die Wall Street-Banken zwar erneut Innovationen und Trends im globalisierten Finanzsektor in ihrem Interesse durchsetzen. Aber die Gefahr von Fehlallokationen ist auch nicht von der Hand zu weisen.
Tatsächlich haben US-Banken seit Mai des Jahres – als Gerüchte über eine deregulierungsfreundliche Neubesetzung des Chefposten der Fed aufkamen – ihre Outperformance gegenüber Banken der Eurozone wieder aufgenommen.
Marktstimmung – Nicht die Crash-Herbeisehner, sondern der Markt hat Recht
Die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens haben an Drohpotenzial für die Finanzmärkte verloren. Nach der Absetzung der Regionalregierung Kataloniens läuft die Machtübernahme durch Madrid bislang reibungslos. Und bei den für den 21. Dezember angekündigten Neuwahlen kommen laut ersten Umfragen die Unabhängigkeits-Anhänger auf keine Mehrheit. Die wirtschaftlichen Schmerzen der Euro-Krise hat man in Katalonien nicht vergessen. Eine Zugabe bei weiterer Verfolgung der Separation will niemand. Lieber spanisch und reich als unabhängig und arm.
Insofern setzt sich der Rückgang politischer Risiken in der Eurozone fort und haben sich die Aktienkursschwankungen laut Euro Stoxx 50 Volatility Index spürbar zurückgebildet.
Politisch, fundamental und geldpolitisch sind die Aktienmärkte insgesamt in guter Verfassung und zeigen eine frühe Jahresend-Rallye.
Die erstmalige Zinserhöhung der Bank of England nach 10 Jahren sollte nicht als Menetekel verstanden werden. Auch durch die vorangegangene Abwertung des britischen Pfunds hatte die Inflation auf oberhalb von zwei Prozent zugelegt. Allerdings hat die Notenbank deutlich gemacht, dass weitere Zinserhöhungen nicht unmittelbar bevorstehen und dass man auch Kollateralschäden des Brexit im Auge behalten muss.
Allerdings wachsen auch an den Aktienmärkten die Bäume nicht in den Himmel. Phasen der Konsolidierung sind einzukalkulieren, die für wieder zunehmende Schwankungen sorgen können. Allerdings ist ein Crash nicht absehbar. Mit Blick auf immer noch unterinvestierte Vermögensverwalter und die anlagetechnische Großwetterlage sind bis Jahresende weitere Kursgewinne zu erwarten. Mit Ansparplänen ist man ohne zu großes Aktien-Risiko dabei.
Charttechnik DAX – Was kommt nach dem Befreiungsschlag?
Charttechnisch verläuft beim DAX auf dem Weg nach oben der wichtige Widerstand am bisherigen Allzeithoch bei 13.489 Punkten. Im Falle von Kursrücksetzern auf hohem Niveau verlaufen erste Unterstützungen zunächst bei 13.431 und 13.342 Punkten. Darunter treten die Haltelinien bei 13.255, 13.187 sowie 13.133 in den Vordergrund. Werden diese unterschritten, muss mit Kursverlusten bis zur Unterstützungen bei 13.064 Punkten gerechnet werden.
Der Wochenausblick für die KW 45 – Solide Konjunkturdaten
In China setzen die Im- und Exportzahlen ihren volatilen Seitwärtstrend fort, vermitteln insgesamt jedoch ein unverdächtiges Wirtschaftsbild.
In den USA signalisieren die wöchentlichen Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe eine zumindest quantitativ robuste Situation am Arbeitsmarkt. Das von der University of Michigan veröffentlichte Verbrauchervertrauen fällt stabil aus.
In der Eurozone sendet das vom Finanzdatenanbieter Sentix ermittelte Investorenvertrauen erneut zuversichtliche Signale für die Aktienmärkte.
In Deutschland fällt der Dreiklang aus Industrieaufträgen, Industrieproduktion und Exporten nach dem starken Vormonat etwas schwächer aus.
Ein Beitrag von Robert Halver.
Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: http://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128.
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