„Ein erfahrener Börsianer ist wie ein Kapitän. Er schaut nicht auf die Wellen, sondern blickt Richtung Horizont.“ Dies ist ein altes und oft eingesetztes Börsenzitat. Fast ausnahmslos wird es verwendet, wenn bei intensiven Marktturbulenzen eine ruhige Hand und ein klarer Blick angesagt sind. Es gilt aber in der Logik auch im umgekehrten Fall, wenn auch wenig zitiert, wenn die Wellen so wie aktuell untypisch ruhig sind. Trotz zuletzt höherer Inflation und besserem Wirtschaftswachstum steigen die Zinsen kaum. Die Aktienmärkte zeigen die geringsten Schwankungen seit zwei Jahrzehnten und bewegen sich Schritt für Schritt nach oben. Überraschende Entwicklungen, vor allem auf der politischen Ebene, wurden zuletzt beeindruckend rasch weggesteckt. Bei schlechten Nachrichten und drohenden Marktkorrekturen werden die Notenbanken schon irgendwie eingreifen, so ein wiederkehrender Markttenor. Die beste aller Welten also und ein Grund sich entspannt zurückzulehnen? Nein, gerade wenn uns das Heute nicht täglich stresst, ist es wichtig über das Morgen und Übermorgen nachzudenken, und eben Richtung Horizont zu blicken. Auch wenn wir heute das optimistische Marktbild weitgehend teilen, bauen sich vor allem zwei Risiken auf, die zu wenig Beachtung finden.
Risiko geringe Volatilität
„Marktrückgang reduziert Wahrscheinlichkeit der US-Zinserhöhungen.“ So lautete der für mich mit Abstand absurdeste Analystenkommentar als Bloomberg-Headline im Mai 2017. Der zitierte Marktrückgang beschreibt ein Tagesminus von etwa 1,5%. Als Marktteilnehmer mit mehr als zwei Jahrzehnten Erfahrung kann man lächeln, es als wertlose Information abtun, sich wundern – oder eben dann doch auch nachdenklich werden. 1,5% Schwankung eines Aktienmarktes sind ein Wimpernschlag in einer Anlagestrategie und nicht einmal eine Randnotiz wert – das lehrt uns die historische Erfahrung. Wie kann es sein, dass es Marktteilnehmer gibt, die daraus eine Änderung der Notenbankstrategie ableiten? Wollen wir uns wirklich immer auf die Notenbanken verlassen? Offenbar sind wir in eine Phase eingetreten, wo völlig verschwimmt, was normal ist und was eben abnormal ist. Die aktuellen Schwankungen der Aktienmärkte sind im historischen Kontext abnormal gering. Ähnliches gilt für weite Teile des Anleihemarktes und auch beispielsweise für das Verhältnis EURO zu US-Dollar. Nachvollziehbare Messlatten wie der Volatilitätsindex VIX der Börse in Chicago zeigen den geringsten Stand seit zwei Jahrzehnten. So weit so gut – gefährlich ist nur der Gewöhnungseffekt, der sich im Kurzzeitgedächtnis einnistet und das Langzeitgedächtnis verdrängt.
Normal sind deutlich höhere Schwankungen, die sich wieder einstellen werden. Ob in drei Wochen, drei Monaten oder in drei Jahren können wir heute nicht gesichert beantworten. Je länger die Phase tiefer Volatilität ist, desto mächtiger kann die Entladung dieses Zustandes in Form höherer Schwankungen sein.
Als langjährig erfahrener Börsianer hat man auch ein gutes Gespür für die Psychologie der Anleger. Aus Kommentaren wie „gut durch die Krise gekommen“ wird zuletzt zunehmend „da wär aber mehr möglich gewesen“. Anlageziele verschwimmen dann oft. Wollte man eigentlich mit Substanzaktien für die nächste Generation vorsorgen, so schielt man jetzt auf die tolle Performance von Tesla und Netflix, deren Bewertung für analytisch denkende Investoren nicht annähernd greifbar ist. Diese Titel treiben aber auch die Entwicklung von Indices. Womit wir bei Risiko Nummer zwei wären.
Risiko Indexfonds
Fonds, die einen Index nachbilden, erfreuen sich unverändert hoher Beliebtheit und haben global betrachtet massive Kapitalzuflüsse. Wir kritisieren das nicht. Diese Fondsgattung hat zweifelsohne Berechtigung, auch wenn wir uns als rein aktives Haus am Markt anders positionieren. Auch viele Berater konzentrieren sich auf Indexfonds, weil diese in den vergangenen Jahren ihre aktiven Mitbewerber geschlagen haben. Dies ist in vielen Fällen korrekt. Wichtig ist es aber auch die Dinge zu Ende zu denken. Der Indexfonds denkt nicht, analysiert nicht, macht keine Bewertungen von Unternehmen und kümmert sich auch nicht um Risiken – egal ob wirtschaftlich oder politisch. Er kauft einfach den Index. Von den gut gelaufenen Aktien – nehmen wir Apple oder Facebook als Beispiel – kauft er immer mehr. Von den schlecht gelaufenen Aktien kauft er immer weniger, da von diesen auch das Indexge- wicht sinkt. Um externe Themen wie Trump oder BREXIT kümmert er sich grundsätzlich gar nicht. Das war in den vergangenen Jahren oft richtig.
Als aktive Manager haben wir uns da und dort wohl zu viele Gedanken gemacht, Risiken rausgenommen. Dies wurde oft nicht belohnt. Muss es aber deswegen auch in den kommenden Jahren so sein?
Indexfonds erzeugen Einbahnstraßen-Effekte nach oben – und nach unten, wenn die Stimmung dreht. Ähnliche Effekte sehen wir am Anleihemarkt. Milliardenschwere Indexfonds bewegen die Märkte von Unternehmensanleihen, High-Yield-Anleihen und Emerging-Market-Bonds. Drücken zu viele Fondsinhaber gleichzeitig auf den Verkaufsknopf und findet sich an der Börse keine Gegenseite mehr, die diese Anteilsscheine kaufen möchte, dann muss der Indexfonds sofort seine Papiere verkaufen. Bestens, unabhängig von der Marktsituation. Der Indexfonds hat grundsätzlich null Prozent Cash und er versucht auch nicht die billigen Investments zu halten und die teureren zu verkaufen. Wer wird dann der Käufer von wenig liquiden Anleihen sein? Der aktive Fondsmanager nur im geringen Ausmaß – man hat ja das Kapital vorher eher den Indexfonds anvertraut. Das Bankbuch noch weniger – dafür haben die regulatorischen Vorgaben gesorgt. Der Indexfonds muss aber trotzdem raus – eben weil er dem Anleger faktisch in der gleichen Minute sein Kapital zurückzahlen muss. Fazit: Die Indexfonds werden die nächste Korrektur am Aktien– und Anleihemarkt massiv verstärken, wann immer sie auch kommen mag.
Zur Klarstellung
Unser Kapitalmarktausblick ist unverändert positiv. Wir sehen keine große Zinswende, die Weltwirtschaft wächst solide, wir finden attraktive Unternehmen, an denen wir uns beteiligen wollen, vor allem in ausgewählten Megatrends. Die Verantwortung eines Vermögensverwalters ist aber stets, Chancen UND Risiken zu bewerten. Wenn eine abnormal tiefe Volatilität zunehmend als normal wahrgenommen wird und wenn breite Anlegergelder in Indexfonds fließen, weil diese eine volle Abdeckung der Marktchancen garantieren und über die gleichzeitig volle Abdeckung der Marktrisiken nicht geredet wird, dann ist es eben die Aufgabe eines erfahrenen Börsianers wie ein Kapitän zu sein. Wir nehmen die ruhigen Wellen dankbar an – aber auch an diesen Tagen geht der Blick Richtung Horizont. Und darüber machen wir uns Gedanken – was Ihr Indexfonds übrigens nicht tut.
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