Das Undenkbare zu denken ist wohl auch ein Zeichen unserer Zeit (Alois Wögerbauer)

Die Notenbanken beeinflussen mit Worten und mit Taten. Dies ist in den vergangenen Jahren wohl eine der meistverwendeten Formulierungen in unserem Monatskommentar – mit einer neuerlichen Bestätigung in den vergangenen Wochen. Seit Sommer 2015 sind vor allem die Aktienmärkte sozusagen gefangen zwischen zwei Fronten. Einerseits das fundamentale Umfeld, das sicherlich nicht restlos überzeugt. Die unklare Lage in China, die generell schwache Verfassung vieler Emerging-Markets, die Berichtssaison der Unter- nehmen mit doch vielerorts reduzierten Erwartungen, die Rohstoffpreise als Signal für eine wenig dynamische Weltkonjunktur. Andererseits die Macht des Faktischen in Form einer „Nullzinsumgebung“, geprägt von den Notenbanken, die eben konsequent für dieses Umfeld sorgen. Substanziell höhere Zinsen sind nach wie vor weit und breit nicht in Sicht. Aktieninvestments bleiben daher eine logische Antwort. Auch wir haben wiederholt zwischen diesen beiden Polen abgewogen und zuletzt eine defensive Haltung eingenommen. Dank der klaren Aussagen der EZB und der Zinssenkung der Nationalbank Chinas hat zuletzt das Zins- und Notenbank-Argument wieder an Bedeutung gewonnen. Erhöhte Schwankungen sind aber nach wie vor wahrscheinlicher als eine Einbahnstraße nach oben.


EZB bleibt voll auf Kurs. c. In den vergangenen Oktobertagen ging folgende Schlagzeile über den Ticker: „2-jährige Staatsanleihen aus Italien rentieren im negativen Bereich.“ Ja, das ist jenes Land, welches im Sommer 2011 über 7% Zinsen für die gleiche Laufzeit bezahlen musste, weil man ihm zutraute die Implosion der EURO-Zone auszulösen. Und heute, nur vier Jahre später, würde dieses Land Geld dafür bekommen, wenn es Schulden durch Auflage einer 2-jährigen Anleihe machen würde. Das Undenkbare zu denken ist wohl auch ein Zeichen unserer Zeit.


Wir haben die Aktionen der EZB und die Worte von Draghi in der Vergangenheit in der Regel wohlwollend kommentiert – vor allem mit dem Hinweis, dass wenigstens eine europäische Institution klare Orientierung gibt. Die jüngsten Entwicklungen geben aber doch Anlass zur Nachdenklichkeit. Kann es wirklich der einzige Plan sein, bei Ausbleiben von klarem Erfolg einfach immer nur die Dosis zu erhöhen – mehr Anleihekäufe, noch tiefere Minusrenditen?
Kann es nicht vielmehr sein, dass wir Gefahr laufen uns im Kreis zu drehen, ...
... weil der ursprüngliche Plan doch vor allem war, den Finanzsektor zu stabilisieren, das Nullzinsumfeld aber nun massiv auf die Ertragsseite von Banken und Versicherungen drückt.
... weil Deflation unter anderem auch dadurch entsteht, dass Überkapazitäten am Markt sind. Gerade das Tiefzinsumfeld macht aber Geschäftsmodelle lebensfähig, die bei höheren Zinsen aus dem Markt ausscheiden und damit eine teilweise nötige Bereinigung herbeiführen würden.
... weil die von der EZB gekauften Anleihen nicht mehr auf den Markt zurückkommen. Das frei handelbare Volumen sinkt somit und bei der nächsten Marktkorrektur werden dadurch die Schwankungen hoch sein, obwohl man gerade dies doch verhindern wollte.
Wenn der Preis von Kapital verzerrt ist – wo ist dann der Anker, der uns bei der Bewertung von Asset-Klassen das Fundament für Aussagen wie „billig“ oder „teuer“ liefert? Die EZB wird den eingeschlagenen Weg fortführen. Eine Flucht nach vorne ist wahrscheinlicher als eine Umkehr auf halbem Weg. Mit diesem Wissen sind Bereiche wie Immobilien und Aktien weiterhin strukturell bevorzugt. Die größte Herausforderung in der Geldanlage bleibt aber Flexibilität im Denken und im Handeln.
Achten Sie auf den Ölpreis. Neben einem vielleicht rein privaten Interesse sollten Sie in den kommenden Quartalen auch in der Geldanlage immer mit einem Auge den Ölpreis beobachten. Nicht weil wir Ihnen raten dort jetzt direkt zu investieren, es geht vielmehr um die kausalen Folgewirkungen. Vielfach war im Jahresverlauf in Kommentaren zu lesen, welch gute Nachricht und welch Konjunkturschub ein tiefer Ölpreis wäre. Dieser Blick ist mehr als oberflächlich. Wir haben dieser These auch immer energisch widersprochen und tun es auch heute noch.


Klarerweise sind die Vorteile für den Privatkonsum logisch nachvollziehbar, ebenso für energieintensive Industrien. Die Liste der Nachteile ist jedoch lang. Die EZB hat sich höheren Inflationserwartungen verschrieben, dies ist die Basis aller Aktivitäten. Je tiefer der Ölpreis, desto weiter ist die EZB von diesem Ziel entfernt.
Viele Staatsfonds aus ölfördernden Ländern waren zudem in den vergangenen Jahren klar auf Käuferseite – auch bei DAX & Co. Sollte der Ölpreis tief bleiben, dann werden diese Fonds wohl auf die Verkäuferseite wechseln, weil das Geld benötigt wird, um die landesinternen Budgetdefizite abzudecken.
Interessant ist in diesem Zusammenhang die jüngste Analyse des Internationaler Währungsfonds: Bei anhaltend tiefem Ölpreis und Beibehaltung der aktuellen Ausgabenpraxis würden selbst Länder wie Saudi-Arabien bis 2020 in einen finanziellen Engpass schlittern. Die Folgen für die Weltwirtschaft kann man sich ausmalen. In einer Gesamtbetrachtung bleibt daher festzuhalten: Für die Weltkonjunktur wäre ein Ölpreis von 60 Dollar besser als einer von 30 und für die Finanzmärkte ebenso. Für eine nachhaltige globale Aktienmarktstabilisierung wird daher eine Stabilisierung des Ölpreises nötig sein.


Die Börsenampel. In unserem Monatskommentar vor vier Wochen haben wir in der Farbenwelt der Ampeln die symbolische Börsenampel auf „gelb“ gestellt. EZB-Chef Mario Draghi hat uns diese Ampel zuletzt auf „grün“ umgeschaltet. Fahren Sie dennoch nicht mit voller Geschwindigkeit los, bis zur nächsten Ampelkreuzung ist es nicht weit... 

 



(03.11.2015)

Christian Drastil (FC Chladek Drastil), Alois Wögerbauer (3 Banken Generali KAG), (© finanzmarktfoto/Martina Draper)


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Alois Wögerbauer

Fondsmanager und Chef der 3 Banken Generali Investment

>> http://www.3bg.at


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