Die Perestroika das Kapitalismus - Episode 17: Geschichte der Spekulationskrisen und deren unveränderte Aktualität (Klaus Woltron)

(Die bisher veröffentlichten Episoden dieser Serie finden sich unter https://www.facebook.com/kwoltron/notesNächste Episode: Die unsichtbare Hand 

Der Begriff Spekulation kommt vom lateinischen speculari, spähen, beobachten; von einem erhöhten Standpunkt aus in die Ferne spähen. Ziel einer jeden wirtschaftlichen Spekulation ist es, einen finanziellen Vorteil durch die mögliche Realisierung einer erwarteten Markteinschätzung zu erzielen. 

 

Das finanzielle Ergebnis einer jeden Spekulation besteht dabei stets in der Differenz zwischen Kaufpreis und Verkaufspreis eines Marktgegenstandes, bereinigt um Kosten des Handels. Erfolgreiche Spekulationen sind hauptsächlich auf das frühzeitige Erkennen und Ausnutzen von vermuteten Fehleinschätzungen des Marktes durch Marktbeteiligte über künftige Kursentwicklungen zurückzuführen, die sich wiederum durch ungleich verteiltes Wissen und Können zwischen Käufern und Verkäufern erklären lassen. Korrigiertder Markt anschließend diese Fehleinschätzungen, resultieren daraus Spekulationsgewinne. Schlägt die Spekulation fehl, so können eben Spekulationsverluste entstehen.

Eine Spekulationsblase bezeichnet einen überkauften Markt, der sich in der Regel im Börsen-, Rohstoff-oder Immobilienbereich völlig von der realen Wirtschaftsentwicklung abgekoppelt hat. Derartiges hat die Wirtschaft schon öfter erschüttert, als man gegenwärtig glauben möchte. Eine kleine Auswahl: 

 

1637: Am 7. Februar platzt die seit zirka 1634 andauernde Tulpenzwiebelspekulation in Holland.
1700: Die Darién- Gesellschaft kann ihre Anteile nach Scheitern des Projekts nicht mehr einlösen.[i]
1720: Die Spekulation mit den Anteilscheinen der Mississippi-Kompanie in Frankreich
1720: Die Spekulation mit den Anteilscheinen der South Sea Company in England, der  so genannte Südseeschwindel[ii]
1873: Die Eisenbahnspekulation in Nordamerika[iii]
1929: Beginn der Weltwirtschaftskrise mit dem Crash an der New Yorker Börse am 24. Oktober("Black Thursday"). In Deutschland mit einem Tag Verzögerung als der Schwarze Freitag wahrgenommen.
1980: Silberspekulation der texanischen Gebrüder Hunt [iv]
1997/98: Die Ostasienkrise 
2000: Mitte März kulminiert die Spekulation mit Aktien der Internet- und Telekommunikationsbranche (Dotcom-Blase).
2007 Ölspekulation und Nahrungsmittelspekulation nehmen zu
2008: Die Subprime-Krise in den USA löst eine weltweite Finanzkrise aus

 

(Einschub 2014: Die gegenwärtige Geldpolitik (Aufkauf fauler Papiere) der EZB leistet Entwicklungen wie  2008 erneut massiven Vorschub.)

 

Um ein realistisches Gefühl für derartige Entwicklungen herzustellen – und als Warnung vor zukünftigen Verschleierungen des immer gleichen Beginns derartiger Verrücktheiten – seien nachstehend ausgewählte Beispiele aus der Geschichte erläutert.  

 

  • Die Tulpenspekulation 1630

 

Tulpen stammen ursprünglich aus dem asiatischen Raum, wo sie als Lieblingsblume der Sultane galten. Aus dem Osmanischen Reich gelangten sie um 1560 erstmals über Konstantinopel nach Wien und begeisterten die Gartenliebhaber.  Der Botaniker Carolus Clusius, Leiter des kaiserlichen Botanischen Gartens in Wien, ließ sie importieren. Als er 1593 Österreich verließ und eine Stelle als Professor für Botanik in Leiden annahm, führte er die ihn so faszinierenden Tulpen- Pflanzen auch in den Niederlanden ein. Die fremdartige Blume bezauberte viele Bürger und wurde bald zum Statussymbol. Die weiblichen Mitglieder der Oberschicht trugen die Tulpe zu gesellschaftlichen Anlässen als Schmuck im Haar oder am Busen und viele Künstler zogen in die Niederlande, das damalige wirtschaftliche Zentrum Europas.

Schon bald wurdenimmer neue Tulpensorten gezüchtet. Als die Nachfrage nach Tulpenzwiebeln das Angebot überstieg, stiegen die Preise kräftig an. Tulpenzwiebeln wurden schon bald auf Auktionen versteigert und auch zu einem beliebten Diebesgut. Der Handel fand weniger an der Börse statt, sondern mehr in den Kneipen und Wirtshäusern, die zu damaliger Zeit überaus zahlreich waren. Hierbei hatte der Verkäufer die Möglichkeit einer Auktion oder aber beide Seiten schrieben ihren Preiswunsch auf einen Zettel und zwei jeweils gewählte Unterhändler einigten sich dann auf einen Preis. 

Zunächst wurden die Zwiebeln nur während der Pflanzzeit gehandelt. Da sich die Nachfrage jedoch ganzjährig ausdehnte, wurden später auch solche Zwiebeln verkauft, die noch in der Erde steckten. Als Konsequenz wurde der Tulpenhandel zum Spekulationsgeschäft, da niemand wusste, wie die Tulpe wirklich aussehen würde.Um zu veranschaulichen, wie sie später aussehen sollten, wurden Bilder in Auftrag gegeben. 

In der Folge konnten jetzt auch Optionsscheine auf Tulpenzwiebelanteile gekauft werden. Die Preise explodierten und stiegen von 1634 bis 1637 auf das über Fünfzigfache an. In Amsterdam wurde ein komplettes Haus für drei Tulpenzwiebeln verkauft. Viele Zwiebeln kosteten mehrere tausend Gulden, der höchste Preis für die wertvollste Tulpensorte, Semper Augustus, lag Anfang 1637 bei 10.000 Gulden für eine einzige Zwiebel, zu einer Zeit, als ein Zimmermann rund 250 Gulden im Jahr verdiente. Die Spekulation war zur Spekulationsblase gediehen.

Ihren Höhepunkt erreichte die Tulpenspekulation bei einer Versteigerung 1637. Damals  wurden für 99 Posten Tulpenzwiebeln rund 90.000 Gulden erzielt, das entspricht heute ca. 900.000 Euro. Doch bereits zwei Tage zuvor hatte der Crash in Haarlem seinen Anfang genommen, als bei einer der regelmäßigen Wirtshausversteigerungen keiner der Händler mehr wagte zu kaufen.In den nächsten Tagen brach dann in den gesamten Niederlanden der Tulpenmarkt zusammen. Alle wollten verkaufen, kaum einer kaufen. Allein ganz kostbare Zwiebeln konnten noch gehandelt werden, da es genügend betuchte Liebhaber gab,die sich ihr Hobby weiterhin leisteten. Am 7. Februar 1637 stoppte der Handel schließlich. Die Preise fielen um über 95 Prozent.

Zu den Spekulanten,die zu viel gewagt hatten, gehörte auch der prominente Landschaftsmaler Jan van Goyen, der all seinen Besitz in Tulpenzwiebeln angelegt hatte. Er schaffte es bis zu seinem Tod zwei Jahrzehnte später nicht, seine Schulden abzutragen.[v]

 

  • Die Mississippi-Transaktion 1720

 

Im Jahr 1717 gründete John Law[vi] - gegen den Widerstand des Parlaments und des Obersten Gerichtshofs Frankreichs − die“Mississippi-Kompanie”. Innerhalb weniger Monate waren (nichtadelige)Spekulanten „Millionäre“ geworden, was die Gesellschaftsordnung auf den Kopf zustellen drohte. Nachdem der Kurs für eine 500-Livre-Aktie auf 10.000 (bei Termingeschäften sogar auf 15.000) gestiegen war, platzte die Spekulationsblase, der Wert der Aktien sank ebenso rasch wie das Vertrauen in das Papiergeld der Banque Royale. Am 29. Mai 1720 wurde Law kurzzeitig abgesetzt und musste nach einem Run auf die Banque Royale  um sein Leben fürchten.

Wie einander in den beiden geschilderten historischen Fällen die Bilder gleichen!  Parallelen zum heutigen Geschehen sind unschwer zu ziehen. Die 

Häufigkeit und vor allem das Volumen derartiger Betrügereien allerdings sind ins Abenteuerliche gestiegen.

 

  • Schwarze Freitage

 

Dass geschichtlich bedeutsame Unglückstage von den Zeitgenossen als Schwarze Freitage bezeichnet wurden, lässt sich bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen und ist dort zuerst in England für den Black Friday vom 6. Dezember 1745 belegt, bei dem es sich zugleich um den ersten wirtschaftlichen Schwarzen Freitag handelt, der von den Zeitgenossen so genannt wurde. An diesem Tag erreichte die Nachricht London,dass der Kronprätendent Charles Edward Stuart mit zwei Schiffen in Schottland gelandet war.  In London führte daraufhin die Angst vor einer französischen Invasion und einer Restauration der Herrschaft der Stuarts zu einem vorübergehenden Kollaps des Bankwesens und Wirtschaftslebens.

Der angelsächsische Usus, wirtschaftlich bedeutsame Unglückstage als Black Friday zu bezeichnen,fand seit dem 19. Jahrhundert auch in anderen Ländern Verbreitung. Als der Bankrott einer Londoner Bank 1866 eine Panik in der Londoner City auslöste,beschrieb die Londoner Times diesen Freitag am nächsten Tag als einen Unglückstag, der noch lange als Schwarzer Freitag in Erinnerung bleiben werde.Weltweite Verbreitung fand der Begriff im Zusammenhang mit der amerikanischen Finanzkrise vom 24. September 1869, die von Goldspekulationen in den Vereinigten Staaten ausgelöst wurde. Der amerikanische Schriftsteller Frederic Stewart Isham machte diesen Skandal zum Gegenstand seines 1904 erschienenen Romans Black Friday. Als Schwarze Freitage wurden im deutschsprachigen Raum der Wiener Börsenkrach vom 9. Mai 1873 (s. "Börsenkrach") und der Kurssturz der Berliner Börse vom 13.Mai 1927 bezeichnet. Für ihre "schwarzen" Tage und ihren Schwarzen Freitag vom 25. Oktober ist heute noch besonders der Zusammenbruch der amerikanischen Börse 1929 bekannt, der die Weltwirtschaftskrise auslöste. 

Die Wall Street, eine kleine Seitenstraße in New York ist bis heute Synonym für die Wirtschaft, den Reichtum und den Wohlstand der USA − so berühmt, dass schon Kinofilme über die Arbeit und das Leben an der Wall Street für Furore sorgten. Aber die "Straße des Geldes" hat auch schon schlechte Zeiten gesehen. 

Am 25. Oktober 1929 wurde die New Yorker Wall Street Schauplatz eines bis dahin noch nie erlebten Börsenkrachs. Innerhalb von Stunden verfielen die Aktienkurse. Rekordverkäufe und Panik unter den Anlegern sorgten dafür, dass sie innerhalb einer Woche 40 Prozent ihres Wertes verloren. Die amerikanischen Banken versuchten zwar mehrmals durch Käufe die Kurse zu stabilisieren, aber das Misstrauen der Anleger war zu groß. Freitag, der 25. Oktober 1929, ging als weiterer "Schwarzer Freitag" in die Geschichte ein und war gleichzeitig der Beginn einergroßen Weltwirtschaftskrise. 

Das Kursniveau des amerikanischen Aktienmarktes war schon seit langem überbewertet, nicht zuletzt durch die engen Verflechtungen der amerikanischen mit den europäischen Volkswirtschaften. (Deutschland hatte seine Reparationszahlungen zumeist durch US-Anleihen finanziert). Die mit dem Schwarzen Freitag beginnende so genannte Weltwirtschaftskrise dauerte bis ins Jahr 1933. Dem Börsenkrach folgten Bankenzusammenbrüche, Firmenpleiten und Massenarbeitslosigkeit. Der"American Dream" hatte tiefe Risse bekommen. 

 

  • Die Ostasienkrise 1997/98

 

Wing Thye Woo,Professor of Economics an der Harvard - University kommentiert die schwere Krise der "Asiatischen Tigerstaaten" 1997/98 folgendermaßen (nachstehend stark gekürzt und umformuliert).

„Charakteristisch für Finanzkrisen auf den Märkten von Schwellenländern ist ein abrupter Richtungswechsel des Nettokapitalflusses, sodass dem Land innerhalb eines Jahres plötzlich  mehr Kapital entzogen wird als ihm zufließt. Bei Entwicklungsländern mit hoher Auslandsverschuldung läuft ein solcher Krisenprozess normalerweise in drei Phasen ab: In der ersten Phase steigt der Wechselkurs der Landeswährung aufgrund bestimmter makroökonomischer Ereignisse bis zur Überbewertung  an. In der zweiten Phase versucht man, diesen Wechselkurs zu halten, wobei die Zentralbank einen bedeutenden Teil ihrer Devisenreserven verliert. In der dritten Phase wird im Allgemeinen die Landeswährung  abgewertet, und dies führt zusammen mit dem Abbau der Fremdwährungsreserven dazu, dass  ausländische Investoren in Panik geraten und ihr kurzfristig angelegtes Kapital eilig abziehen. 

Die Jahre 1997 und 1998 bescherten Ostasien eine Finanzkrise, deren Struktur keineswegs so’typisch asiatisch’ war, wie der IWF lange Zeit behauptet hat. Ihr generischer Charakter zeigte sich vielmehr 1998, als Lateinamerika, Südafrika und Russland von der gleichen Krise betroffen waren. Über den Ursprung der Ereignisse in Ostasien gibt es indes verschiedene Theorien. Wahr ist, dass die Folgen einer ohnehin problematischen makroökonomischen Politik auf den Märkten der Schwellenländer durch destabilisierende Faktoren der globalen Finanzmärkte verschärft wurden – eine Lage, die der IWF durch sein Fehlverhalten, so z. B. durch seinen Rat einer drastischen Erhöhung der Zinssätze, zusätzlich verschlimmerte. Zur Vermeidung ähnlicher Szenarien in der Zukunft sind mehrere Schritte dringend geboten. Zu ihnen zählen neben der Reform der Finanzmärkte und der gründlicheren Analyse des globalen Kapitalismus durch die regionalen und nationalen Entscheidungsträger vor allem Reformen im IWF selbst, dessen Arbeit nach  einem Austausch der bisherigen Parameter transparenter zu gestalten und nachhaltiger zukontrollieren sein wird.“ [vii]

 

  • Die Dotcom-Blase 2000

 

 Eine der spektakulärsten Börsenkrisen, die sowohl psychologisch als auch materiell –relativ gesehen – der berüchtigten Tulpenspekulation 270 Jahre zuvor nicht nachstand, war die Internet-Blase im März 2000, die insbesondere die sogenannten Dotcom-Unternehmen betraf und vor allem in Industrieländern zu bedeutenden Vermögensverlusten für Kleinanleger führte. Ich habe sie selbst,damals Mitglied des Aufsichtsrats einer renommierten  High-Tech- Investmentgesellschaft, hautnah miterlebt. 

Die Dotcom-Blase war ein weltweites Phänomen. Der größte Markt für Technologieunternehmen war die amerikanische NASDAQ, in Deutschland richtete die Deutsche Börse den Neuen Markt als eigenes Marktsegment ein, an dem angeblich zukunftsweisende und stark wachsende Unternehmen, als die die Technologieunternehmen galten, notiert sein sollten.  

Auslöser des Booms waren die hohen Gewinnerwartungen, die durch neue technologische Entwicklungen ausgelöst wurden. So fand das Internet seine Verbreitung in weiten Kreisen der Bevölkerung der Industriestaaten, das Mobiltelefon zog in den Alltag ein, Handheld- Computer wurden entwickelt. Ab 1995 kam es zu einer Vielzahl von Neugründungen und Börsengängen. Viele Anleger schöpften die Hoffnung, dass die in diesen Märkten operierenden Unternehmen„Zukunftsunternehmen“ seien, und wollten über einen Aktienkauf an vermeintlichen zukünftigen Gewinnen teilhaben. Ab Mitte 1999 vervielfachte sich  innerhalb weniger Monate die Börsenbewertung zahlreicher Unternehmen durch eine deutlich erhöhte Nachfrage der vormals am Aktienmarkt nicht aktiven Neuanleger.

Weiter verstärkt wurde dieser Effekt durch den starken Expansionsdrang vieler Unternehmen. Die durch die Börsengänge erzielte Liquidität wurde in den Aufkauf weiterer börsennotierter Unternehmen investiert. Investmentfonds verstärkten die Spekulationsblase, indem sie ihren Kunden immer höhere Gewinne in Aussicht stellten. Es wurde eine Vielzahl von Neue- Markt-, Internet-,Telekommunikations- und Technologiefonds gegründet, die reißenden Absatz fanden.

Die deutschen Aktienindizes erreichten ihren Höhepunkt im März 2000. Gegen Ende des Booms zeichnete sich ab, dass die hoch bewerteten Unternehmen die Gewinnerwartungen nicht in absehbarer Zeit erfüllen würden. Ihr Börsenwert war zumeist nicht durch materielle Gegenwerte gedeckt, da das Kapital eines IT-Unternehmens weniger in materiellen Gütern als vielmehr in den geistigen Leistungen seiner Mitarbeite zu finden ist. Oftmals bestand der Buchwert der Unternehmen aus nicht viel mehr als einigen Gebäuden und der IT- Infrastruktur. Die im Expansionsdrang zugekauften Unternehmen waren zudem meist nicht profitabel.

Als die Kurse zu sinken begannen und vermehrt Verkäufe getätigt wurden, zogen erfahrene Börsianer ihr Kapital aus dem Markt ab. Durch den anhaltenden Kursabfall gerieten die häufig neuen, unerfahrenen Kleinanleger in Panik und verkauften„um jeden Preis“, um ihre Verluste in Grenzen zu halten. Der Kursverfall verwandelte sich in einen Kurssturz.

Als Anlegerfehler sind vor allem überhöhte Gewinnerwartungen, das Ignorieren der fundamentalen Unternehmensbewertung und die Missachtung der Jahresabschlüsse zu nennen. Gier und Unerfahrenheit trugen zusätzlich zur Krise bei. Gleichwohldarf die Alleinschuld nicht den Anlegern zugeschrieben werden. Besonders in Deutschland kannte die Euphorie der Medien, vornehmlich gegenüber den Emissionen des Neuen Marktes, keine Grenzen. Damit wurde dem noch unerfahrenen Anleger der irrige Eindruck vermittelt, die Börse sei eine Einbahnstraße − mit fatalen Folgen für die Vermögen vieler Kleinanleger.Die Jahre zuvor noch teuer zugekauften Tochterunternehmen waren meist Sanierungsfälle und daher in der Krise unverkäuflich, sodass nur der Gang in die Insolvenz übrig blieb.

Das Vertrauen der Anleger in die Werte der IT-Branche blieb auf Jahre hinaus gestört.Bis in die Jahre 2004/2005 hinein waren viele Unternehmen unterbewertet.Darüber hinaus erschütterte das Platzen der Spekulationsblase nachhaltig dasVertrauen der Investoren in den Aktienmarkt und trug wesentlich zur steigenden Kapitalismus-Skepsis bei.[viii]

 

  • Öl-  und Nahrungsmittelspekulation 

 

13. Juni 2008: „Trotz des wieder anziehenden Dollars verteuert sich das Öl bereits wieder. Der Kontrakt für Brent Crude kostete heute früh 136.54 Dollar. Der Future für dieUS-Sorte WTI ist 136.88 Dollar teuer“. [ix]

Am 26. Februar 2008 übe rwand der Ölpreis für die Nordseesorte Brent in London erstmals die100-Dollar-Marke. (Brent wird als Referenz für die Bewertung von mehr als 65 Prozent der weltweit gehandelten Ölvorräte benutzt). Der Preisanstieg war vor allem auf die anhaltende Dollarschwäche zurückzuführen. Am 10. März 2008 erreichte der Preis für ein Fass US-Leichtöl in New York im Handelsverlauf 108,00US-Dollar und überschritt damit eine historische Marke: Absolut und auch inflationsbereinigt war Rohöl bis dahin noch nie teurer als zu diesem Zeitpunkt. Am 5. Mai 2008 stieg der Preis für US-Leichtöl (WTI) in New York erstmals mit 120,30 US-Dollar pro Barrel über die Grenze von 120 US-Dollar im Tagesverlauf. Damit hatte sich der Ölpreis innerhalb eines Jahres verdoppelt.Gründe für den Anstieg waren unter anderem die Unruhen in Nigeria. Auf Schlusskursbasis durchbrach der Ölpreis in New York am 6. Mai 2008 zum ersten Mal die 120-Dollar-Marke, als er den Handel mit 121,84 US-Dollar beendete.

Am 6. Juni 2008 stiegder Ölpreis in London auf eine neue Rekordmarke. Auf Schlusskursbasis notierte er mit 138,54 US-Dollar auf einem Allzeit- Hoch.

Diese Preissteigerungen wurden zu einem großen Teil durch Spekulanten, die auf einen Anstieg der Preise "wetteten" und mit ihren Aktionen eine Self-fulfilling Prophecy analog der Tulpenspekulation oder der Mississippi-Blase in Ganz setzten, verursacht. Im Verlauf des Sommers 2008 ging der Ölpreis dann zurück, ohne dass dahinter nennenswerte wirtschaftlich  reale Gründe gestanden wären. 

Nahrungsmittel standen in allen Phasen der Geschichte im Zentrum der Wirtschaft. Rom war auf die nordafrikanischen Gebiete angewiesen, um seine Bürger ernähren zu können und führte deshalb viele blutige  Kriege.Kulturen wie die der Maya stiegen und fielen mit der Versorgung mit Getreide und Wasser, wie viele andere auch. Die Besiedelung Amerikas durch europäische Auswanderer wurde unter anderem durch Ernährungskrisen auf dem alten Kontinent und in Irland wesentlich beschleunigt. Längst hat sich der Finanzplatz auch der Frage der Versorgung einer rasch wachsenden Menschheit mit Nahrungsmitteln angenommen – so wie in allen lukrativen Bereichen der Wirtschaft haben sich weltweit agierende Spekulanten auch dieses Gebiets bemächtigt. 

"Die Spekulanten haben die Agrarrohstoffe entdeckt. Um 90 Prozent ist etwa der Weizenpreis seitdem vergangenen Jahr gestiegen, das beflügelt die Anlegerfantasie und lässt weltweit die Lebensmittel teurer werden. Schon warnt das UN-Welternährungsprogramm, dass seine Mittel nicht mehr ausreichen, um die Ärmsten zu versorgen. Auch Weltbank und Internationaler Währungsfonds machten den drohenden Hunger zum Thema ihrer Frühjahrstagung in Washington. 

Wie weit die Spekulanten die Preise für Weizen, Soja, Reis oder Mais in die Höhe treiben,das allerdings kann niemand sagen. ‚Dazu gibt es keine offiziellen Zahlen’,sagt Chris-Oliver Schickentanz von der Dresdner Bank. Bei den Agrarrohstoffen sei nicht bekannt, wer genau die Terminkontrakte unterzeichnet. So lässt sich nicht unterscheiden, ob ein Investmentfonds auf steigende Weizenkurse spekuliert oder ob ein großer Viehzüchter nur seine Futtertanks auffüllen will.Aber die Tendenz sei klar: Die spekulativen Positionen haben deutlich zugenommen.“[x]

 

  • Die Subprime-Krise und die Folgen: Weltfinanzkrise 2008

 

Im Frühjahr 2007 erreichten in den Vereinigten Staaten die Zahlungsausfälle auf Subprime-Kredite(Darlehen, die überwiegend an Kreditnehmer mit geringer Bonität vergeben wurden, also z.B. an eher unbemittelte "Häuslbauer") den höchsten Stand der letzten Jahre. Dutzende Baufinanzierer, die sich gerade auf diese Kredite spezialisiert hatten, mussten Gläubigerschutz (In Europa: Insolvenz)beantragen. Weiterreichende Auswirkungen ergaben sich dadurch, dass dieS ubprime-Kredite über strukturierte Anlageformen im Kapitalmarkt refinanziert wurden. Sie wurden, raffiniert verpackt, weltweit verkauft und so das Risiko der ursprünglichen Kreditgeber auf Dritte – zahlreiche europäische Banken und Großfirmen, darunter pikanterweise auch Gemeinden und Staatsbetriebe, wie z.B. die ÖBB – gegen fette Gebühren übertragen. Aufkäufer waren auch Fonds, Versicherungen und andere Banken. Unter den Fonds waren nicht nur risikobereite Hedgefonds, sondern auch eher konservative Investmentfonds. 

Die Verluste bei den Investmentbanken führten zu einer Abnahme der Risikobereitschaft privater und institutioneller Anleger. Diese zogen nun in kurzer Zeit erhebliche Beträge aus dem Kapitalmarkt ab oder hielten sich mit neuen Investitionen in risikoreiche Anlagen zurück. Investoren waren aus Unsicherheit über die den Papieren zugrunde liegenden Vermögensgegenstände nicht mehr bereit, weiter zu kaufen.Hierdurch sahen sich wiederum die Zentralbanken wichtiger Wirtschaftsnationen veranlasst, dem Geldmarkt kurzfristig Liquidität in einem hohen dreistelligen Milliardenbetrag zur Verfügung zu stellen, um zu verhindern, dass die Subprime-Krise eine allgemeine Kreditklemme oder Finanzkrise auslöst. Allein die Europäische Zentralbank hatte in wenigen Tagen über 200 Milliarden Euro durch so genannte Schnelltender zur Verfügung gestellt. Die US-amerikanischeFederal Reserve stellte im November 2007 weitere rund 40 Mrd. US-Dollar zur Verfügung – die größte Geldmarkt-Intervention seit September 2001.

Unzählige Hedgefonds mussten geschlossen und liquidiert werden. Mehrere speziell auf das Subprime-Segment ausgerichtete Hypotheken finanzierer mussten Gläubigerschutz beantragen. Die großen amerikanischen Investmentbanken verzeichneten Verluste in Milliardenhöhe. Allein die amerikanische Investmentbank Merrill Lynch musste 8, 4 Milliarden Dollar an Abschreibungen verbuchen. Auch das Unternehmen Citigroup meldete Milliardenabschreibungen und den damit verbundenen Rücktritt des Unternehmensvorsitzenden. Zahlreiche Banken meldeten Konkurs an oder wurden von Dritten übernommen. 

Die Subprime-Krise in den Vereinigten Staaten brachte im Jahre 2007 die beiden Bankhäuser IKB Deutsche Industriebank und Sachsen LB in existenzbedrohende Krisen, des gleichen die BayernLB und die WestLB. Auch andere deutsche Banken wie die Deutsche Bank mussten Abschreibungen in erheblicher Höhe vornehmen. Mit beinahe 40 Milliarden Schweizer Franken Abschreibungen wurde die Schweizer Großbank UBS weltweit am stärksten getroffen. Auch viele andere europäische Länder bzw. deren Bankinstitute und damit indirekt die Anleger und Staatsbürger mussten ähnliche Verluste hinnehmen. Die Serie der Zusammenbrüche wird sich,wie allerletzte Meldungen zeigen, wohl noch einige Zeit lang fortsetzen.

Es ist den amerikanischen Risikofinanzierern gelungen, einen Teil ihrer faulen Kredite rechtzeitig den blauäugigen Europäern anzudrehen und so ihre eigenen – immer noch gewaltigen – Verluste wesentlich zu reduzieren. Hauptleidtragende der ersten Runde waren die Schweizer, die sich in ihrer Biederkeit einen solchen gewaltigen Quasi-Betrug weltweiten Ausmaßes offensichtlich nicht vorstellen konnten. Dass die meisten Akteure der ersten Stunde dies alles getan hätten,ohne sich der Hintergründe und Folgen ihrer Transaktionen nur allzu gut bewusst zu sein, ist wohl schwer zu glauben. 

Im Herbst 2008 weitetesich die Subprime-Krise dann zu der ärgsten Finanzkrise, die die Welt seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt, aus; ihre Folgen sind noch immer nicht zur Gänze abzusehen. Zahlreiche Banken fliehen unter den Schutzmantel des Staates,staatliche Ankurbelungsprogramme sollen den schockartigen Nachfragerückgang,der durch Unsicherheit und fehlendes Geld verursacht wird, mildern,Wirtschaftsprognosen werden monatlich korrigiert und gleich wieder obsolet. 

 

  • Der Madoff – Riesenbetrug 2008.

 

Bernard Lawrence Madoff  arbeitete an der Regulierung des NASDAQ   (National Association of Securities Dealers Automated Quotations; Börse, in New York) mit. Sein Unternehmen war eine der treibenden Kräfte bei der Entwicklung desselben, und er war persönlich ab 1990 Chairman des Board of Directors  und Mitglied des Board of Governors. Erwirkte zusammen mit seiner Frau Ruth als Philanthrop und Spender für Colleges,Theater, Bildungseinrichtungen, jüdische Charity-Organisationen sowie als Kunstmäzen. Seine Firma Bernard L. Madoff Investment Securities LLC agierte vorallem als Broker an der New Yorker Börse, aber auch als Investor. Sie ist(2008) in einen der größten Betrugsskandale verwickelt, die die Börse New York jemals erlebt hat. Das Wall Street Journal meinte, es sei ein Vorgang, der„sich als der größte Finanzbetrug der Geschichte erweisen könnte“. Das Broker-Haus verwaltete Anlagegelder für vermögende Kunden und, nach Angaben der New York Times, zwei Dutzend Hedgefonds  mit insgesamt 17 Milliarden Dollar. Im Dezember 2008 wurde Madoff vom FBI verhaftet und soll wegen Betrugs vor Gericht gestellt werden. Die U.S. Securities and Exchange Commission hat das verbliebene Vermögen von rund 70 Millionen Dollar eingefroren. Insgesamt geht es bei dem über Jahrzehnte durchgeführten Schneeballsystem um rund 50 Milliarden Dollar, 38 Milliarden Euro. Am Abend des 15. Dezember gab ein New Yorker Richter dem Antrag des Anlegerschutzfonds SIPC statt, das Unternehmen Bernard Madoffs zu liquidieren, um es einem Treuhänder zu unterstellen. Neben geschädigten Banken auf der ganzen Welt finden sich unter den prominenten Privatinvestoren neben dem Ehepaar Shapiro auch Steven Spielberg sowie sein Geschäftspartner und Chef von DreamWorks Animation, Jeffrey Katzenberg.

 


[i] Darién-Gesellschaft: Mit der Gründung der Darién Company am 26. Februar 1696 hoffte Schottland, wie auch England, Frankreich und Spanien eigene Kolonien errichten zu können. Zur Finanzierung wurden Anleihen zur Zeichnung ausgegeben, bei denenalle Schotten, die es sich leisten konnten, soviel investierten wie sie konnten. Das Projekt scheiterte.

[ii] Text kommt noch

[iii] Text kommt noch

[iv] Text kommt noch

[v]Nach Wikipedia et.al. 

[vi]Antoin E. Murphy von Schäffer-Poeschel John Law -Ökonom und Visionär   ISBN-10:3878811764

[vii] Wing Thye Woo, „Some Evidenceof  Speculative Bubbles in the ForeignExchange Markets“, Journal of Money, Credit and Banking (November 1987).

[viii] AusWikipedia, gekürzt und angepaßt.

[ix]ScoachSchweiz AG; wallstreet-online.de;Wieder im Würgegriff der Ölspekulation, 13. Juni 2008

[x] Taz, 17. 4.2008

 

 


(01.03.2015)

Bestellbar bei Amazon - http://www.amazon.de/Die-Perestroika-Kapitalismus-Aufruf-Systemwechsel/dp/3701731314


 Latest Blogs

» MMM Matejkas Market Memos #35: Gedanken üb...

» Börsenradio Live-Blick 25/4: DAX clincht m...

» Wiener Börse Party 2024 in the Making, 24....

» Börse-Inputs auf Spotify zu u.a. Infineon,...

» ATX-Trends: AMAG, Erste Group, RBI, Bawag,...

» Wiener Börse Party 2024 in the Making, 23....

» Wiener Börse Party 2024 in the Making, 22....

» BSN Spitout Wiener Börse: Strabag geht übe...

» Börse Social Depot Trading Kommentar (Depo...

» Börsegeschichte 24.4.: Rosenbauer, CA, Uni...


Klaus Woltron

ist ein österreichischer Unternehmer , Buchautor und Kolumnist. Er ist Gründungsmitglied des Club of Vienna und war aktives Mitglied bis zum April 2008. Hier berichtet er u.a. über "Die Perestroika des Kapitalismus".

>> https://www.woltron.com/


 Weitere Blogs von Klaus Woltron

» Offener Brief an die Koalitonsparteien #SP...

Ich habe mir meine Sorgen in einem "Offenen Brief" an die Obleute der Koalitionsparteien von...

» Schuldner als Klientel der neuen Elite (Kl...

Die Profis, insbesondere die eher linken, wissen das alles. Sie wissen aber auch, dass beim ...

» Der New Deal und fahrlässige Krida (Klaus ...

Ich denke über den New Deal und das "Aus der Krise Herausinvestieren" nach. Ein etwas w...

» Nicht den Kopf von Merkels angeblichen Alt...

Ich lese mit Vergnügen so ziemlich meine eigene Meinung zur EU in der "Presse". Ein herv...

» Über Kreisky, Sinowatz und Woltron (Klaus ...

Der Herr Bundeskanzler Dr. Kreisky hat, vor 35 Jahren, als er mich in mein damaliges Amt einf&u...