Die Perestroika des Kapitalismus - Episode 15: Das Gesetz von der Konstanz der Unzufriedenheit (Klaus Woltron)

 

 
Jeder Zustand, der über eine gewisse Zeit lang unverändert andauert, wird vom Menschen als unangenehm, als langweilig empfunden und weckt den Wunsch nach Änderung. Hätten meine Großeltern die Nahrungsmittel, Wohnverhältnisse und den technischen Komfort eines nach heutiger Definition der Armutsschicht in Europa Zugerechneten zur Verfügung gehabt, hätten sie sich selbst als reich, zumindest aber als wohlhabend empfunden. Sogar innerhalb der Lebensspanne einer einzigen Generation lässt sich diese Beobachtung aufrechterhalten. Sie gilt für mich und die meisten meiner Altersgenossen ebenso. Es ist prinzipiell unmöglich, die subjektive Zufriedenheit der Menschen ohne fühlbaren – oder subjektiv empfundenen – Zuwachs an materiellen und immateriellen Gütern oder deren qualitativer Änderung aufrecht zu erhalten. 

Das Gesetz von der Konstanz der Unzufriedenheit führt dazu, dass ein unstillbares Bedürfnis nach Mehr,Besser, Reicher und Größer herrscht. Dabei dürfte es sich unter anderem um eine unheilvolle Nebenwirkung evolutionären Drucks in Richtung  Halten und Steigern von Überlegenheit,Sicherheit, Größe und Macht handeln. Dabei bleibt unbemerkt, dass in Summe gesehen die Rentabilität dieses Systems für die meisten Menschen längst eine negative geworden ist. 

(Die bisher veröffentlichten Episoden dieser Serie finden sich unter https://www.facebook.com/kwoltron/notesNächste Episode: Das Casino

Zusammen mit den geschilderten Gesetzmäßigkeiten der Effizienzsteigerung, der Economies of Scale, dem Druck der Werbung und des Wettbewerbs, der Allokation des Kapitals ist diese unstillbare Gier der Motor einer Entwicklung, die zwangsläufig immer wieder zu Krisen und schweren Rückschlägen führen muss. Unstillbares Verlangen,kombiniert mit steigender Macht, konfrontiert mit begrenzten Möglichkeiten und Ressourcen, führt unvermeidbar zu unlösbaren Konflikten und schwersten kollektiven Enttäuschungen.

 

Entwicklungsdynamik: Begrenzende Faktoren

 

Der Mensch hat es bis heute verstanden, die begrenzenden Faktoren, die alle anderen Arten des Lebens am Überhandnehmen hindern, zu überlisten. Bäume wachsen nie in den Himmel. Dem Menschen hingegen gelang es bisher,seine Nahrungsversorgung durch Düngung, Zucht von Pflanzen und Tieren und das Urbarmachen unfruchtbarere Böden zu vervielfachen. Krankheiten und Seuchen, die jede andere Art bei zunehmender Übervölkerung periodisch reduzieren, vermochte er bis dato erfolgreich hintanzuhalten. Seine vergleichsweise geringe physische Kraft, die Begrenzung  der Beweglichkeit und der Kommunikation überwand er durch den Einsatz geborgter Energie, die Konstruktion von Maschinen (vorzugsweise auch solcher zur gegenseitigen Vernichtung), listenreichen Kommunikationssystemen und elektronischen Denk- und Gedächtnishilfen, wie ich sie im Moment gerade nütze. Damit hat er fast alle äußeren Feinde – mit Ausnahme vielleicht der allerkleinsten, die seine eigenen Zellen bewohnen und zerstören – überwunden. Man könnte meinen, dass die Menschheit mit ihrer Intelligenz und Erfindungskraft im Begriffe ist, all die Umstände, welche ihre weitere Vermehrung behindern, wie ein Schneepflug immer höher vor sich aufzutürmen, bis sie irgendwann darin stecken bleiben wird. Es bleiben nur mehr wenige begrenzende Faktoren; denen nähert sie sich allerdings mit hoher Geschwindigkeit und bis dato ungebremst an. Diese sind 

- die begrenzte Oberfläche der Erde,

- die begrenzte Verfügbarkeit fossiler und nachwachsender Rohstoffe und Energiequellen, 

- die begrenzte ufnahmefähigkeit der Biosphäre für Abfall- und Schadstoffe,

- der massive Artenschwund und die damit einhergehende Monotonisierung der Biosphäre    und

- die explosionsartige Vermehrung ihres einzig verbleibenden gefährlichen Feindes – des Menschen selbst. 

 

 

Betrachtet man die geschichtliche Entwicklung von der Steinzeit bis hin zur heutigen, ungeheuer effizienten und mengenmäßig nie dagewesenen Nutzung von Rohstoffen und Energie im „Bienenstock Menschheit“, so erkennt man eine allen Prozessen eigene Gesetzmäßigkeit: die stufenweise Ausschaltung aller die Anzahl der Menschen begrenzenden Faktoren, die mit einer exponentiell ansteigenden Ausbeutung und Übernutzung der Welt einhergeht. 

Dieser auf einer unendlich großen Fläche eventuell folgenlos verlaufende Prozess muss sich auf einem begrenzten Planeten früher oder später zu einem biologisch, energetisch und rohstoffmäßig nachhaltigen Gleichgewicht stabilisieren oder in einer Abfolge von mehr oder weniger mörderischen Krisen, die sich zunächst in Form von Kämpfen um überlebenswichtige Nahrung, Rohstoffe und Energievorräte abspielen, münden. Angesichts der sehr begrenzten Fähigkeit der Menschen,kollektive intelligente Lösungen zu entwickeln und des wieder zunehmenden Egoismus einzelner Staatenlenker und auch Glaubensgemeinschaften stellt sich das krisenhafte Szenario als das weitaus Wahrscheinlichere heraus. Mi t dieser Frage wird der Leser im Zuge dieser Überlegungen noch mehrfach konfrontiert werden. (s. auch Kap. "Die Hierarchie der Risiken"). 

 

Irgendwann hört sich alles auf

 

Die Meinungen, wie viele Menschen die Welt (er)tragen kann, gehen weit auseinander. Bis zu zehn Milliarden scheint für die Hochrechner aus der Zunft der Demographen und Zukunftsforscher kein Problem zu sein. Ich hege allerdings den Verdacht, dass all diese Hochrechner von recht platten und einfachen Modellen ausgehen. Die Inhomogenitäten zwischen den großen Blöcken, die zunehmend ungleiche Verteilung von Wohlstand, Ressourcen und auch schon Lebensraum, die Auswirkungen des Klimawandels, die Ernährungskrisen lassen Extrapolationen eher als Kaffeesudlesereien denn als belastbare Prognosen erscheinen. Es ist mit Fug und Recht zu befürchten, dass lange vor dem Erreichen derart hoher Bevölkerungszahlen wieder Ereignisse eintreten, welche den Zuwachs an Menschen drastisch bremsen, seien es absichtliche oder – viel wahrscheinlicher – eigendynamische, wie Kriege, Krankheiten oder schwere Versorgungsprobleme.

 

(Einschub 2014: Ebola?)

 

 Konzerne, Monopole und Manipulation

 

Manager von Kapitalgesellschaften sind, wie bereits erwähnt, rechtlich gehalten, sich allein den Shareholdern verantwortlich zu fühlen, und können das auch noch im Bewusstsein der Haftungsbeschränkung ausagieren. Unter diesen Bedingungen istes „in der Struktur des Unternehmens angelegt“, dass sie den Vorteil des Unternehmens – und ihren eigenen – zu Lasten der Allgemeinheit verfolgen; das Unternehmen ist dann in der Tat „die perfekte Externalisierungsmaschine.“[i]

Viele transnationale Konzerne haben Budgets, die größer sind als jene von Kleinstaaten – und sie verwalten sie auch meist viel effizienter, allerdings überwiegend im alleinigen Interesse der Eigentümer. Die innere Struktur der allermeisten Konzerne ist straff, hierarchisch und undemokratisch organisiert. Nicht zuletzt deswegen können Konzerne schneller auf geänderte Situationen reagieren als Demokratien,Innovationen effizienter für sich nutzen und – wegen des Potentials, viel Geld bewegen zu können und Entfaltungsmöglichkeiten anzubieten – auch die aktivsten,ehrgeizigsten und fähigsten jungen Menschen anziehen. (Sie können eigentlich fast alles effizienter als demokratisch strukturierte Gesellschaften. Die Frage, warum Staaten sich punkto Organisation, Auswahlsystem der Führungskräfte und die damit verknüpften Regeln nicht stärker ein Beispiel an Großkonzernen nehmen und mit dem Jammern über deren Übermacht aufhören, ist nicht ganz unberechtigt. Dies wird im Kapitel "Das Synchronisationsproblem" noch zu erörtern sein).Sie haben gegenüber kleineren Firmen und Privatunternehmern einen enormen Vorteil, den der Staat auf Grund seiner umfassenden Verantwortung nicht nutzen kann: Sie sind für die Konsequenzen ihrer Handlungen nicht ganzheitlich verantwortlich. Präzis hat dies G. Scherhorn[ii] ausgedrückt:

„So sind nicht die vielen kleinen und mittleren Unternehmen der Motor der Kapitalexpansion,sondern die großen. Mit Braudel[iii] kann man sagen, dass der Kapitalismus in ganz entscheidendem Maße von wirtschaftlichen Aktivitäten vorangetrieben wird, die sich an der Spitze abspielen … 

 

Man täuscht sich, wenn man Marktwirtschaft und Kapitalismus gleichsetzt, denn vom Kapitalismus wird der Markt immer wieder umgangen. Marktwirtschaft ist ein ‚transparenter’ Austausch zwischen Händlern und ihren Tauschpartnern, seien sie Produzenten oder Konsumenten, bei dem jede Partei schon im Voraus die Regeln und den Ausgang kennt und die stets bescheidenen Profite ungefähr einkalkulieren kann.“ [iv]
In der Sphäre des Kapitalismus dagegen agiert eine andere Kategorie von Handeltreibenden. Sie werden nicht Händler genannt, sondern Handelsherren oder Global Player. Ihr Ziel sind die großen Profite. Sie suchen z. B. durch Aufkaufen der Ware bei den Produzenten oder durch Ausnutzung von Informationsvorsprüngen oder mit Hilfe staatlicher Monopolrechte, „die traditionellen Marktregeln zu überwinden“ [v] und die Bedingungen für „ungleiche Tauschgeschäfte“ zu schaffen. 

 

Diese Strategien führen „zur Akkumulation beträchtlichen Kapitals“ in den Händen weniger großer Unternehmen.[vi]  Diese Unternehmen repräsentieren den Kapitalismus … „Um Accountability gegenüber den Stakeholdern und damit der Öffentlichkeit rechtlich zu verankern, müsste die Haftungsbeschränkung für Kapitalgesellschaften entweder aufgehoben oder mit staatlich definierten Verantwortlichkeiten und Pflichten verknüpft werden…“[vii]

Das oben angeführte Scherhorn´sche Argument muss relativiert werden. Der Kleine wird genauso zur"kapitalistischen Hyäne" (Ausnahmen gibt es natürlich), wenn er nur die Möglichkeit hat, so wie es auch umgekehrt Ausnahmen von der„kapitalistischen Gier“ gibt. Der Unterschied besteht darin, dass auf den nationalen Märkten die Überwachungsfunktionen einigermaßen greifen und Auswüchse verhindern, während multinationalen Konzernen keine adäquaten Kontrollen gegenüberstehen. Außerdem machen die von Scherhorn dem "guten kleinen Gewinn-Streber" gegenübergestellten Multis in den meisten Fällen nur das, was die Kleinen tun, allerdings reizen sie die Economies of Scale und ihre Möglichkeiten exzessiv aus. 

Die Errichtung eines"zweiten Stockwerks" auf der Realwirtschaft – jenes der Finanzwirtschaft – erfolgte nicht schon mit der Einführung des Geldes vor sehr langer Zeit. Solange Geld – egal, ob Kaurimuscheln oder Goldmünzen – direkt als Tauschmittel für Waren eingesetzt wurde, hatte es keinen spekulativen Charakter. 

 

Erst der Handel mit Wechseln, Schuldverschreibungen und Anteilsscheinen (Aktien) ermöglichte Wechselreiterei, Spekulation und in letzter Konsequenz das heute völlig entartete Spiel mit Werten, die sich immer mehr als hohl erweisen. Man hat noch bis vor ganz kurzer Zeit vielen Finanzpapieren einen Wert beigemessen, der ihnen durch eine lange und sorgfältige Tradition des Aufblasens eingehaucht wurde und in keinem Verhältnis zum darunter liegenden "Erdgeschoss" – der realen Wirtschaft und deren viel handfesteren Werten – mehr steht.

[i]  Mitchell, Lawrence E.: Der parasitäre Konzern. Shareholder value und der Abschied vongesellschaftlicher Verantwortung, S. 81. München 2002: Riemann Verlag.

[ii]G. Scherhorn, Vortrag anlässlich des Symposiums „Kapitalismus gezähmt? Pround contra Neoliberalismus“ des Club of Vienna am 22. Januar 2004

[iii]Braudel, Fernand (1986). Die Dynamik des Kapitalismus, S. 99. Stuttgart: Klett-Cotta

[iv]  ebenda, S. 50.

[v]  Ebenda, S. 51

[vi]  Ebenda, S. 53.

[vii]  SoBannas (2003), a.a.O.



(13.02.2015)

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Klaus Woltron

ist ein österreichischer Unternehmer , Buchautor und Kolumnist. Er ist Gründungsmitglied des Club of Vienna und war aktives Mitglied bis zum April 2008. Hier berichtet er u.a. über "Die Perestroika des Kapitalismus".

>> https://www.woltron.com/


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