Die Perestroika des Kapitalismus - Episode 9: Ethik in der Wirtschaft und die Hybris der Größe (Klaus Woltron)

 “Wenn man von der Lust redet, vergeht sie einem auch schon“ (Viktor Frankl). Das gilt offenbar auch für ethisches Verhalten. 

In Erkenntnis des dringenden Handlungsbedarfs - und auch als window - dressing -  wurden 1970 in den USA Lehrstühle für Wirtschaftsethik gegründet, 1980 folgten solche in Europa. 1973 entstand, von 400 Managern beschlossen, Anstand und Sitte gelobend,das Davoser Manifest. 1993 wurde eine Erklärung zum Weltethos in Chicago abgegeben. 2000 entstand Global Compact, ein Projekt zum Aufbau einer nachhaltigen Wirtschaft. Im selben Jahr wurden die Millenniumsziele der UNO zur Bekämpfung der Armut festgelegt. 2002 wurde der Österreichische Corporate-Governance-Kodex verfasst. Zahllose Unternehmensleitlinien und CRS-Initiativen kämpfen wacker gegen das wüste Catch-as-catch-can an. Parallel dazu erleben wir allerdings auch das glatte Gegenteil: Während man vollmundig von Ethik redet,ist offensichtlich schon vieles faul geworden.

Gerade der Österreichische Corporate Governance-Kodex bzw. dessen Entwicklung zeigt bestens die Neoliberalismus-Befindlichkeit, in diesem Falle in Österreich. Man hat einige Jahre lang − zum Unterschied von anderen Staaten − den Kodex auf rein freiwilliger Basis eingeführt. Sodann wurden etliche Vorschriften verbindlich gemacht, daraufhin musste man jene, die man nicht einhalten wollte,ausdrücklich begründen. Nunmehr soll der Kodex angeblich insgesamt rechtlich verbindlich werden. Angesichts des erforderlich gewordenen Engagement des Staates zur Rettung von Banken, dieHilfe in Anspruch nehmen, führte man in der BRD unlängst aus„geschäftsethischen Gründen“ strenge Auflagen zum Schutze des Steuerzahlers ein. In Österreich ist daraus lediglich eine schwache Verordnung geworden, zur Verantwortung kann, muss aber niemand gezogen werden. Man hat sich in Österreich immer dagegen gewehrt, eine klar definierte Ordnungspolitik zu betreiben, nicht wegen Hayeks "Anmaßung des Wissens“[i][ii]), sondern weil man dem Staat,der Regierung, den Parteien, einen Rest von unklar definierten Ad-hoc-Eingriffsmöglichkeiten bewahren wollte.

Irgendwie erinnert diese, in den so genannten „entwickelten“ Gesellschaften um sich greifende Erosion von Sitte und Anstand an die biologische Verwertung eines sterbenden Wals. Ein großer Organismus, fett, alt, schwach und krank geworden, wird von außen angefressen und löst sich gleichzeitig von innen her auf. Etwa dreißig Tierarten sind bekannt, die sich ausschließlich von Wal- Kadavern ernähren. Zu den ersten Nutznießern zählen Haie und Raubfische;  Schleimaale und Ringelwürmer folgen einer Duftspur der Auflösung. Spezialisierte Bakterien,die in der dunklen Tiefe überleben können, sind die Basis für die Ernährung von Muscheln und Krebsen. Mit ein wenig Fantasie kann man die Profiteure der Zersetzung unserer früher doch wesentlich normentreueren Gesellschaft, die noch vor fünfzig Jahren unter großen Entbehrungen und solidarisch einen zerstörten Kontinent gemeinsam wieder aufgebaut hat, den diversen Wal- Verwertern im Tierreich zuordnen. Gott sei Dank sind bei Weitem (noch) nicht alle so. 

 Dennoch: Bis vor Kurzem war ich der Meinung, die gewählten Volksvertreter würden und sollten der Wirtschaft jene Zügel verpassen, die sie am Vergaloppieren hindern und die"Unsichtbare Hand" vom Griff in fremde Taschen abhalten könnten,soweit sie dies nicht aus Verantwortungsbewusstsein selber tut. In Anbetracht des offen zu Tage tretenden Mangels an ethischer Qualifikation vieler Herrschaften im politischen Bereich könnte man fast annehmen, man mache mit einem solch blauäugigen Verlangen letzten Endes gar die Böcke zu Gärtnern. Die Frage, warum man als halbwegs anständiger Mensch privat und beruflich  fast schon als insgeheim spöttisch belächelter Dummkopf dasteht, wird die Gesellschaft wieder zunehmend beschäftigen müssen. 

 

Die weltweite Entrüstung hoher und höchster Politiker im Zusammenhang mit der im Herbst 2008 eingetretenen größten Finanzkrise seit dem Zweiten Weltkrieg birgt eingerüttelt Maß an Heuchelei in sich. Wer, wenn nicht die Gesetzgeber rund um den Globus, wäre denn dazu angehalten gewesen, eine Regelung der Finanzströme rechtzeitig einzuführen, um deren Entgleisen zu verhindern? Wer ist denn dafür zuständig und wer wurde gewählt, um als Lenker des Geschehens, als"Direktor", als Minister und Kanzler jeweils nicht nur anklagend zurückzuschauen, sondern auch weise und unbeirrt nach vorne zu blicken? Ist die Legislative wirklich nur ein Reaktionsapparat auf bereits eingetretene Schäden,ein Erinnerungsreflex? Diese schmerzhafte Erkenntnis verstärkt den Eindruck,dass die prospektive Kraft von Regierungen gering, ihre Fähigkeit, rechtzeitig zu agieren, wenig ausgeprägt und daher die Wirksamkeit des demokratischen Systems als Schutzmechanismus recht limitiert ist. Auch davon später mehr.  

 

Grenzüberschreitungen

 

Ohne Korrektiv schlägt jeder Mensch, manchmal ohne sich dessen bewusst zu sein, in irgendeiner Weise über die Stränge. Es entspricht seinem Naturell, an Grenzen vorstoßen zu wollen, ja zu müssen. Extrembeispiele hierfür sind die diversen, an Selbstmörder gemahnende, Bezwinger von Achttausendern, Formel-1- und Motorradrennfahrer, Polarforscher der ersten Stunde und viele andere mehr.  

Grenzen sind Trennungslinien zwischen unterschiedlichen Ordnungen – politischen und geografischen im Falle eines Staates, biologischen in jenem der Zellmembran,und ethischen, in Fällen des Gültigkeitsbereichs von sozialen und religiösen Systemen. Die Eigenschaft,  Grenzen erst dann zu akzeptieren, wenn sie verteidigt werden, wenn jemand auf deren Einhaltung besteht, hat ja unter anderem dazu geführt, dass der Mensch den gesamten Planeten erobert (besser: unterjocht) hat – vom Äquator bis zu den Polen. Gebremst wurde er nur hin und wieder durch seine eigene Unzulänglichkeit, die er durch raffinierte Erfindungen und Hilfsmittel immer wieder ausglich. Der Ausdruck „unterjocht“ ist auch angemessen, denn diese Erfolgsgeschichte gleicht viel mehr einem Feldzug denn einem Friendly Takeover. Bis dato konnte der Mensch die allermeisten Grenzen, die sich ihm entgegenstellten, überschreiten. Es scheint sich jedoch ein Ende dieses Siegeszuges anzukündigen.

Menschen, die nicht schon in frühester Jugend sozialisiert wurden, denen geheime Wut durch Unterdrückung oder Missbrauch eingeimpft worden ist und die in Positionen gelangen, in welchen sie große Macht entfalten können, sind der Hybris des Abhebens von jeglicher Realität und des Machtmissbrauchs besonders ausgesetzt. Gerade diese werden aber auch von Macht und Einfluss, Glanz und Gloria geradezu magisch angezogen, sehen ihr Verhalten durch ihren Aufstieg bestätigt.Derartige Karrieren münden oft in eine geistige Verfassung, die man getrost als Cäsarenwahn bezeichnen könnte. Macht braucht daher Kontrolle, und Kontrolle funktioniert wiederum nur dann, wenn sie von einer gleichwertigen und unabhängigen, machtvollen Institution ausgeübt wird. Dies gilt für den Volksschuldirektor in einer obrigkeitsgläubigen ländlichen Gegend genauso wiefür den Leiter eines großen internationalen Konzerns. 

 

Die Hybris der Größe

 

Mit dem Größenwachstum der Konzerne in den letzten Jahrzehnten nahm proportional auch deren Macht undin deren Folge auch die Dimension von Korruptions- und Machtmissbrauchsfällen zu.   

„Was die Fahnder …aus ihren Belegen und Aussagen zusammenpuzzeln, ist… ein schockierendes Bild: Eine ehrenwerte Gesellschaft auf Aktienrecht. Oben die alte Führung, eine Herrenrunde mit besten Beziehungen in Politik, Justiz und Geheimdiensten, die gesellschaftliche Verantwortung gelobt und dafür höchsten Respekt genießt. Und darunter der Apparat, der, in weiten Teilen gedeckt von der Führung, nach ganz anderen Regeln arbeitet, sich über das Gesetz stellt, in seiner eigenen Welt lebt, einer Welt, in der es oftmals nicht danach geht, was Recht ist, sondern was Siemens recht ist.“[iii]

15. November 2006, ein Mittwoch. 200 Beamte der deutschen Wirtschaftspolizei stürmen in den Morgenstunden die Büros hochrangiger Siemens-Manager. Tatort: die Firmenzentralen München und Erlangen. Eine lang geplante Großrazzia. Grund: Verdacht auf Schmiergeldzahlungen in beträchtlichem Ausmaß zur Gewinnung von Aufträgen.Damals war von einem „Skandal“ die Rede. Und von geschätzten Schmiergeldzahlungen in der Höhe von 20 Millionen Euro. Nach weiteren zehn Monaten haben die Zahlungen eine neue Dimension erreicht: Mehr als eine Milliarde Euro an Schmiergeldern soll seit den 90er Jahren an Auftraggeber geflossen sein. Das berichten Spiegel undSüddeutsche Zeitung unter Berufung auf informierte Kreise. „Schockierend“ lautet der inoffizielle Kommentar der Unternehmensleitung.

Die Vorgangsweise beider Abwicklung der Korruptions-Zahlungen ist in allen Fällen ähnlich: Über ausländische Konten, vornehmlich in Liechtenstein, aber auch Abu Dhabi und Österreich, wurden die Zahlungen angewiesen. Ziel der illegalen Transfers: die Auftraggeber von den Vorzügen des Siemens-Angebots zu überzeugen. 

In den Siemens-Projekten wurden diese Zahlungen ohne eindeutig nachweisbaren Zweck registriert.„Es spricht einiges dafür, dass es dabei nicht um saubere Geschäfte gegangen sei – auch wenn nicht alle Zahlungen automatisch Schmiergeld sein müssen“,heißt es unter Berufung auf Unternehmerkreise. 

Offiziell gibt sich Siemens vor der Veröffentlichung des Endberichts der Anwälte verschlossen:„Zwischenstände der Untersuchung über die Quartals-Veröffentlichung hinauskommentieren wir nicht“, sagte ein Sprecher des Konzerns zu der Ausweitung der Affäre. Man unterstütze aber die Untersuchungen und sei an „voller Transparenz“interessiert, so der Sprecher: Eine Auskunft, welche auch in vielen anderen Fällen von vielen anderen Konzernsprechern in vielen anderen Ländern eilfertig erteilt wurde, nachdem wieder einmal ein hässliches Spiel aufgeflogen war. 


[i] Friedrich August von Hayek (1899 - 1992); österreichischer Ökonom. Den „Sozialingenieuren“, die eine Gesellschaft auf dem Reißbrett planen wollen, warf er die Anmaßung von Wissen (pretence ofknowledge) vor. So sollte später auch seine Rede zum Empfang des Nobelpreises heißen. 

 

[ii] F. v. Hayek, Die Anmaßung von Wissen, in: ORDO 26, 1973, S. 12-21

[iii]DER SPIEGEL 16/2008, S. 78

(Die bisher veröffentlichten Episoden dieser Serie finden sich unter https://www.facebook.com/kwoltron/notes)



(27.12.2014)

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Klaus Woltron

ist ein österreichischer Unternehmer , Buchautor und Kolumnist. Er ist Gründungsmitglied des Club of Vienna und war aktives Mitglied bis zum April 2008. Hier berichtet er u.a. über "Die Perestroika des Kapitalismus".

>> https://www.woltron.com/


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