Warum die Wiener Börse den Handel nicht temporär gestoppt hat, sagt Christoph Boschan (Leya Hempel)

Dank Peter Heinrich und dem neuen Börsenradio-Interview mit Börse CEO Christoph Boschan bekommen wir nun einen Einblick auf die Auswirkungen des Corona Virus auf die Wiener Börse.

Der Betrieb an der Wiener Börse kann ganz klar durch Homeoffice aufrechterhalten werden. Im Laufe der letzten Woche wurde dies Schritt für Schritt vorbereitet, sodass vergangenen Freitag schon zirka 70 Prozent von zu Hause aus gearbeitet haben. Heute sind lediglich noch Herr Boschan selbst und zwei weitere Mitarbeiter vor Ort, um die Stellung zu halten. Allerdings ist keiner der Anwesenden mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs, sondern zu Fuß oder mit dem Fahrrad und könnte seine Dienste auch von zu Hause aus tätigen. Die Dauer der "Corontäne" kann noch nicht abgeschätzt werden, aber an der Wiener Börse stellt dies kein Problem dar, sie ist auf eine unbegrenzte Zeit vorbereitet und kann das problemlos durchhalten.

Die Tätigkeit der Börse kann in zwei große Bereich aufgeteilt werden: Technik und Administration. Die Administration kann klarerweise problemlos von zu Hause aus geregelt werden, den Organisationsauftrag der Technik betrifft in erster Linie das Team der Wiener Börse, aber auch alle Technikpartner wie die Deutsche Börse. Genauso ist die Wiener Börse auch für ihre Partnerbörsen in Zentral- und Südosteuropa verantwortlich. Die Betriebsbereitschaft untereinander bleibt erhalten und ist dauerhaft gesichert, da die Systeme längst noch nicht an ihren Kapazitätsgrenzen angelangt und alle Risikosysteme adjustiert und getestet sind. Somit kann auch der technische Börsenbetrieb problemlos weiterlaufen.

Die Handelsüberwachung und Market Maker funktionieren auch weiterhin und zwar ebenfalls über Homeoffice, da die Mitarbeiter von zu Hause aus auf die Systeme zugreifen können.

Doch das Verlegen der Arbeit nach Hause ist lange nicht die einzige Problematik, die das Coronavirus für die Wiener Börse mit sich bringt: Seit Jahresbeginn hat der ATX fast 50 Prozent verloren. Trotzdem wird das Handeln an der Wiener Börse nicht eingestellt, denn selbst wenn die Handelsaussetzung einer Börse nicht neu wäre, ist es jedoch ein sehr altes Modell und die Offenhaltung der Märkte hat nun oberste Priorität, da die Börsen kritische Infrastrukturen sind, sich bei einer Schließung klarerweise viele zu erledigende Aufträge aufstauen würden und man vor allem nur ausweichen würde in wenig regulierte und nicht transparente außerbörsliche Handelssysteme.

Das Volatilitätsmanagement im System selbst, wo die Börse nicht komplett schließt, sondern zum Beispiel zur Handelseröffnung einige Minuten aussetzt, was in Amerika an den Börsen gerade passiert und für die Amerikaner noch neu ist, ist in Europa schon seit Jahren in allen Systemen integriert und Marktstandard auf Einzelhandel Basis.

Eine Änderung wird jedoch angedacht um die Situation zu entschärfen: Seit der letzten Bankenkrise gibt es ja ein Verbot des ungedeckten Leerverkaufs (naked short sellings) und was man laut Herrn Boschan in dieser Situation überlegen sollte, wäre das zusätzliche Verbieten von gedeckten Leerverkäufen (short selling) europaeinheitlich, natürlich ausgenommen der Liquiditätsspende, des Market Makings und der Absicherungsgeschäfte. Um so eine Änderung durchführen zu können muss sich die nationale Behörde mit der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) abstimmen.

Nicht nur in Österreich sind die Kurse stark gefallen, aber den ATX hat es diesmal besonders hart getroffen, das hat zwei offensichtliche und einen nicht so offensichtlichen Grund: Einerseits liegt das an der Komposition des nationalen Index mit einem Bankenschwerpunkt und einem Commodity- (Öl- und Stahl-) Schwerpunkt, was die Bereiche sind, die es jetzt besonders hart getroffen hat und dass viele internationale Investoren aus Großbritannien und den USA hier engagiert sind. Andererseits, was nicht so offensichtlich ist, wurde das frühe und weitgehende Eingreifen Österreichs auf das Eintreffen des Coronavirus vor Ort, was natürlich sehr gut und wichtig war, in internationalen Investorenkreisen jedoch teilweise falsch verstanden, da diese davon ausgehen, dass es nun auch einen vollständigen wirtschaftlichen Shutdown geben wird, was aber nicht der Fall ist.

Auch wenn Österreich, wie gerade erwähnt, besonders stark getroffen wurde, ist Herr Boschan fest überzeugt davon, dass es als eines der ersten Länder wieder aus dieser Krise herauskommen wird, wirtschaftlich und gesundheitlich, da Österreich einerseits ein sehr gutes Gesundheitssystem hat und durch das frühe Eingreifen das Schlimmste verhindern konnte und andererseits, was die Wirtschaft betrifft, die Unternehmen des ATX in den letzten Jahren überdurchschnittlich stark gewachsen und teilweise Weltmarktführer in ihren Bereichen sind und noch dazu einen Anschluss an den osteuropäischen Raum haben, wo der Wachstum doppelt so hoch sein wird und diese Stärke der Unternehmen nicht einfach so von einen Tag auf den Anderen verschwindet.

Anm: Leerverkaufsverbot bereits umgesetzt, das Interview ist unter http://www.boerse-social.com/podcasts zu hören.

(Der Input von Leya Hempel für den http://www.boerse-social.com/gabb vom 19.03.)



(19.03.2020)

Christoph Boschan


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Leya Hempel

#gabb Autor, siehe http://boerse-social.com/...

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