Die Perestroika des Kapitalismus - Episode 16: Das Casino oder - Spekulation und Finanzkrisen (Klaus Woltron)

 Wenn die Börsenkurse fallen,

regt sich Kummer fast bei allen,
aber manche blühen auf:
Ihr Rezept heißt Leerverkauf.

Keck verhökern diese Knaben
Dinge, die sie gar nicht haben,
treten selbst den Absturz los,
den sie brauchen - echt famos!

Leichter noch bei solchen Taten
tun sie sich mit Derivaten:
Wenn Papier den Wert frisiert,
wird die Wirkung potenziert.

Wenn in Folge Banken krachen,
haben Sparer nichts zu lachen,
und die Hypothek aufs Haus
heißt, Bewohner müssen raus.

Trifft's hingegen große Banken,
kommt die ganze Welt ins Wanken -
auch die Spekulantenbrut
zittert jetzt um Hab und Gut!

Soll man das System gefährden?
Da muss eingeschritten werden:
Der Gewinn, der bleibt privat,
die Verluste kauft der Staat.

Dazu braucht der Staat Kredite,
und das bringt erneut Profite,
hat man doch in jenem Land
die Regierung in der Hand.

Für die Zechen dieser Frechen
hat der Kleine Mann zu blechen
und - das ist das Feine ja -
nicht nur in Amerika!

Und wenn Kurse wieder steigen,
fängt von vorne an der Reigen -
ist halt Umverteilung pur,
stets in eine Richtung nur.

Aber sollten sich die Massen
das mal nimmer bieten lassen,
ist der Ausweg längst bedacht:
Dann wird bisschen Krieg gemacht.

Dieses Gedicht klingt hochaktuell. Es ist allerdings bereits 78 Jahre alt und wurde von Kurt Tucholsky angesichts der Weltwirtschaftskrise verfasst und 1930 in der Weltbühne veröffentlicht.

 

Einschub 2014: Später (2008) stellte sich heraus, dass es sich um eine Fälschung handelt: Dennoch ist sie gut und möge daher im Text verbleiben.

 

(Die bisher veröffentlichten Episoden dieser Serie finden sich unter https://www.facebook.com/kwoltron/notesNächste Episode: Die Geschichte der Spekulationskrisen

 

 

Die immer komplizierteren Transaktionen mit Firmenanteilen (Aktien) gestalten das Börsengeschehen zunehmend zu einem weitestgehend spekulativen Spiel, das immer stärkere Zufallskomponenten enthält und für Manipulationen anfällig wird. Der erstere Effekt gemahnt an reines Glücksspiel, Letzterer streift oft nahe an den Bereich glatter Irreführung, im schlimmsten Fall des Betrugs. Folgerichtig hat die Welt der Finanztransaktionen auch eine originäre Terminologie hervorgebracht, mit der man sich, will man die dahinter liegenden Verhaltensweisen und Aktionen recht verstehen, im Prinzip vertraut machen muss.Nachstehend zwei wesentliche Begriffsbestimmungen:

 

- Ein „Termingeschäft“,auch „Zeitgeschäft“ genannt, ist ein Vertrag über Lieferung und Abnahme zu einem fest vereinbarten Preis, der erst eine gewisse Zeit nach dem Abschluss erfüllt wird. Üblicherweise spricht man ab einem Zeitraum von mehr als zwei Tagen von einem Termingeschäft.

 

- Ein „Future“ (auch„Börsen- Terminkontrakt“) ist ein verbindlicher Börsenvertrag zwischen zwei Parteien, eine Art von börsengehandeltem Termingeschäft.Es bedeutet eine Lieferung (für den Verkäufer) bzw. Abnahme (für den Käufer) eines genau bestimmten Vertragsgegenstandes (Basiswert),in einer bestimmten Menge (Kontraktgröße) und Qualität 

zu einem fixen Zeitpunkt in der Zukunft (Termin) und zu einem konkreten, bereits bei Vertragsabschluss festgelegten Preis. 

 

Anhand dieser Definitionen erkennt man den hochspekulativen Aspekt: Es werden feste Verträge abgeschlossen (und auch an meist weniger gut informierte Dritte weiterverkauft), welche den Vertragsgegenstand und einen Preis festlegen, der mit dem aktuellen Marktpreis zu einem späteren Zeitpunkt aber keineswegs übereinstimmen muss: eine Abwandlung des viel einfacheren, aber im öffentlichen Raum verbotenen  Pokerspiels. 

 

 

 

Bilanzen als Lockspeise

 

 

 

Investition in eine Firma setzt ein hohes Maß an Informationen über das Objekt der Begierde voraus.Natürlich ist man dabei am Wahrheitsgehalt und der Aktualität dieser Informationen besonders interessiert. Die Befindlichkeit und Qualität einer Gesellschaft lässt sich zu einem hohen Grade aus ihrer Bilanz ersehen, die zukünftige Entwicklung aus den mehr oder weniger optimistischen Planungen,welche die Gesellschaft erstellt. 

Die Bilanz, also die Gegenüberstellung der Besitztümer und Schulden einer Gesellschaft, ist in hohem Maße von den Regeln, nach welchen sie verfasst wird, abhängig. Es gibt eine Fülle von so genannten Accounting Principles; entscheidend ist der große Unterschied zwischen den eher vorsichtigen der Kontinentaleuropäer (z.B. HGB)und den riskanteren internationalen und amerikanischen Varianten (IAS und US-GAAP[i]). In Deutschland und Österreich etwa erfolgt die Gewinn- und Unternehmenswertermittlung nach dem Vorsichtsprinzip. Sie  orientiert sich vorrangig an der langfristigen Kapitalerhaltung und damit am Gläubigerschutz. Die Amerikaner hingegen orientieren sich eher am Schutz der Investoren; eine Bilanz oder Unternehmensbewertung nach US-GAAPl iefert  Informationen für schnelle, aktuelle wirtschaftliche Entscheidungen. Im Vordergrund stehen die periodengerechte Gewinnermittlung und damit auch die Einbeziehung von immateriellen Wertsteigerungen, welche nach HGB eher den Stillen Reserven, die gemäß diesen Vorschriften in der Bilanz nicht aufscheinen, zugerechnet werden. Dadurch ist es einem verwegen bilanzierenden Vorstand möglich, unangemessen hohe Unternehmenswerte dadurch darzustellen, dass er willkürliche Wertsteigerungen seiner Gesellschaft bilanziert, welche mehr dem Prinzip Hoffnung als jenem der gebotenen kaufmännischen Vorsicht entsprechen.Eine schmerzliche Folge derartiger Praktiken waren die Dotcom-Blase und die jüngst die ganze Weltwirtschaft erschütternde Subprime-Krise (s. die diesbezüglichen Kapitel).  

 

Kurzfristdenken

 

 „Fachmenschen ohne Geist, Genussmenschen ohne Herz: dies Nichts bildet sich ein, eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu haben… Niemand weiß noch, [. . . ] ob am Ende dieser ungeheuren Entwicklung ganz neue Propheten oder eine mächtige Wiedergeburt alter Gedanken und Ideale stehen werden, oder aber – wenn keins von beiden –mechanisierte Versteinerung, mit einer Art von krampfhaftem Sich- wichtig-Nehmen verbrämt.“[ii]

 

Die nicht gerade schmeichelhafte Einschätzung der Verantwortungsträger durch Max Weber anno 1904 gründet sich nicht zuletzt auf die jenen unterstellte Traditionslosigkeit und das resultierende  Kurzfrist-Denken. 

Spekulative Veranlagung von Kapital verfolgt in aller Regel kurzfristige Ziele und beruht auf gerade aktuellen Börsenkursen oder Ad-hoc-Nachrichten, die mit dem tatsächlichen Wert einer Gesellschaft oft sehr wenig zu tun haben, also eher mit virtuellen, nicht auf tatsächlichem wirtschaftlichen Fundament ruhenden Hinweisen und Daten. Dazu kommt, dass die Funktionsperioden von Vorstandsmitgliedern von Aktiengesellschaften meist nicht länger andauern als vier Jahre und ihre Bezahlung an den Börsenkurs der von ihnen geleiteten Firmen geknüpft ist. Die logische und menschlich bis zu einem gewissen Grad durchaus verständliche Folge ist die Bestrebung des Managements,den Börsenkurs in dieser kurzen Zeit möglichst hochzutreiben. Dies gelingt mit normalen operativen Maßnahmen innerhalb der Gesellschaft meist nur zum Teil. Es bedarf daher einer oft sehr gewagten Informations- und Öffentlichkeitsarbeit sowie des schnellen und auf Kurzfrist-Effekten aufgebauten tatsächlichen oder scheinbaren Erfolgs. Langfristige Zielsetzungen – auch solche im direkten Interesse des Unternehmens und in jenem anderer Stakeholder,[iii] wie der Region oder der Umwelt,müssen dabei zwangsläufig unberücksichtigt bleiben. Diese Gesetzmäßigkeit weckt oft die Motivation, spektakuläre Unternehmensübernahmen, gewagte Wachstumsschritte etc. um ihrer selbst Willen zu betreiben, um das Interesse der Börse anzuheizen − mit oft bösem Erwachen der enttäuschten Aktionäre einige Jahre später. Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Faktor ist der in vielen Firmen vorherrschende Zwang, in großem Maßstab kurzfristig geborgtes Geld zurückzuzahlen, was den Spielraum für langfristige Aktivitäten enorm einengt. 

Das Kurzfristdenken,welches die geschilderten Mechanismen zwangsläufig generiert, setzt sich in der gesamten Gesellschaft, auch in der Politik und im Pressewesen, fort und steht in krassem Gegensatz zur Notwendigkeit, den immer drängender werdenden gesellschaftlichen, politischen und ökologischen Problemstellungen mit langfristig angelegten, wohldurchdachten ganzheitlichen Strategien zu entsprechen. In den allermeisten Fällen – ersprießlicherweise nicht immer − lässt sich das genaue Gegenteil beobachten. 

 

 


[i] HGB: Handelsgesetzbuch; IAS = InternationalAccounting Standards;  US-GAAP =Generally Accepted Accounting Principles.

[ii]Max Weber: Die protestantischeEthik und der 'Geist' des Kapitalismus, S. 17-206. in: Ders: GesammelteAufsätze zur Religionssoziologie, Band 1, Tübingen, Mohr, 1920 

[iii] Stakeholder: ein mit dem Schicksal einesUnternehmens in irgendeiner, nicht nur ökonomischer, Form Verbundener. 

Die Weltbühne: http://de.wikipedia.org/wiki/Die_Weltb%C3%BChne
(Die bisher veröffentlichten Episoden dieser Serie finden sich unter https://www.facebook.com/kwoltron/notes
Nächste Episode: Die Geschichte der Spekulationskrisen. 

Die "Episoden" zitieren Abschnitte aus dem Buch "Die Perestroika des Kapitalismus - ein Aufruf zum Systemwechsel (2009). 

 

http://www.amazon.de/Die-Perestroika-Kapitalismus-Aufruf-Systemwechsel/dp/3701731314/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1413787653&sr=8-1&keywords=Klaus+Woltron



(16.02.2015)

Bestellbar bei Amazon - http://www.amazon.de/Die-Perestroika-Kapitalismus-Aufruf-Systemwechsel/dp/3701731314


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Klaus Woltron

ist ein österreichischer Unternehmer , Buchautor und Kolumnist. Er ist Gründungsmitglied des Club of Vienna und war aktives Mitglied bis zum April 2008. Hier berichtet er u.a. über "Die Perestroika des Kapitalismus".

>> https://www.woltron.com/


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