Ich kann mich noch gut an einen Urlaub im Jahr 2011 in Südfrankreich gemeinsam mit meiner Freundin erinnern. Es war Mitte September und die Eurokrise hatte sich damals derart zugespitzt, dass sich die Börsen europaweit stark verbilligten. Unter ihnen freilich der ATX, der zumeist eine Klasse für sich ist, wenn es darum geht, in sich zusammen zu fallen. Daran hat sich bis dato offenkundig nicht viel geändert. Zum Teil muss man sich leider eingestehen, dass ein gewisser „Österreich-Abschlag“ in Relation zu den welt- und europaweiten Leitbörsen gerechtfertigt ist. Die politische Grundeinstellung im Land ist seit geraumer Zeit äußerst anleger- und überhaupt kapitalmarktfeindlich. Man bedenke beispielsweise die Kursgewinnsteuer, die seit einigen Jahren völlig undifferenziert, plump, ja schlicht und ergreifend dumm langfristig orientierte Investoren, die das Ziel verfolgen, sich einen zumindest bescheidenen Kapitalpolster für die Altersversorgung anzusparen, in einen Topf mit rein auf den „flotten Schnitt“ ausgerichteten Spekulanten und Spielern zusammenschmeißt. Auch an der corporate goverance ließe sich so manches verbessern. Ein Management, das in einem Unternehmen mit Potenzial für 6 oder 7 Prozent Eigenkapitalrendite lieber weitere „Wachstums-Investitionen“ tätigt, als eigene Aktien zum halben Buchwert zurückzukaufen und proportional dazu Schulden zu tilgen, handelt kapitalvernichtend und völlig entgegen der Eigentümerinteressen. Die Beendigung des Vertragsverhältnisses zu einem Vorstandsmitglied, das man erst einige Monate zuvor in das Unternehmen berufen hat, ohne dem Kapitalmarkt auch nur rudimentäre Informationen über die Beweggründe dieses Vorganges zukommen zu lassen, erweckt auch nicht gerade das Vertrauen. Und schließlich: die jüngsten und überaus peinlichen Ereignisse bei Österreichs umsatzstärkstem Unternehmen sind eine äußerst interessante Kombination aus mieser corporate governance und rückgratloser und ausschließlich auf Eigennutz bedachter Politik.
Fallende Kurse sind für mich dennoch – trotz aller Widrigkeiten, Hindernisse und Bedenken – in der Regel ein Grund für steigende Stimmung. Dementsprechend werde ich nun völlig entgegen der vor der Tür stehenden kalten, finsteren und tristen Jahreszeit immer fröhlicher und die meine Tage werden zwar gemessen am Sonnenlicht kürzer, aber der Arbeitsintensität nach länger. Wie eingangs erwähnt ist der ATX (wieder) besonders gut im Verlieren. Seit dem Hoch im Jänner steht man bei ungefähr -25% – nicht dass es vorher blasenartige Kurse gegeben hätte. Bei einigen Titeln herrscht geradezu Ausverkaufsstimmung und es hat noch nie geschadet, sich in einem Markt umzusehen, der innerhalb kurzer Zeit deutlich billiger geworden ist. Ob es vom jetzigen Niveau noch weiter abwärts geht, kann niemand beantworten – besondere Vorsicht ist meiner Meinung nach bei jenen Zeitgenossen geboten, die sich damit rühmen, dies zu können. Kurzfristige Marktprognosen waren noch nie brauchbar oder seriös, um das zu wissen bin ich trotz meines verhältnismäßig jungen Alters schon lange genug dabei.
Es mag viele verschiedene Wege geben, an der Börse erfolgreich zu sein. Selbst im Lager der Value-Investoren gibt es unterschiedlichste Zugänge. Jedem sind freilich andere Dinge bei einem Unternehmen wichtig. Mir persönlich ist es sehr wichtig, dass das Unternehmen, in das ich investieren möchte in einer tadellosen finanziellen Verfassung ist. Man weiß letztendlich nie, welche Schwierigkeiten vor der Tür stehen, ob in der Branche des Unternehmens eine Konsolidierung ansteht, ob wie 2007/08/09 die Kreditvergabe derart zum Erliegen kommt, dass eine Austrocknung der lebensnotwendigen Liquidität zu befürchten steht. Ein Unternehmen, das mehr schnell liquidierbare Assets besitzt, als es Verbindlichkeiten hat, kann „schwer“ pleite gehen, insofern ist die primäre Quelle des Hauptrisikos für den langfristigen Investor, nämlich einen dauerhaften Kapitalverlust zu erleiden, minimiert. Außerdem fällt es einem – so ist zumindest meine eigene Erfahrung – leichter, die dem Aktienmarkt immanente Volatilität auszuhalten, wenn man solide finanzierte Unternehmen kauft und besitzt. Letztendlich würde ich sogar soweit gehen zu sagen, dass diese Unternehmen, die eine zu hohe Eigenkapitalquote und zu wenig Fremdkapital aufweisen sogar eine Art „verstecktes Asset“ besitzen, da eine moderate Erhöhung des Fremdkapitalanteiles sogar positiv für den Unternehmenswert wäre. Für all jene, die diesem Grundgedanken etwas abgewinnen können, möchte ich hier eine Tabelle veröffentlichen, in der die Unternehmen aus dem ATX prime nach ihrer finanziellen Stabilität untersucht werden. Die Zahlen basieren auf dem jeweils aktuellsten Bericht, der auf der homepage der Wiener Börse zugänglich ist. Betrachtet werden die Eigenkapitalquote, das gearing (Verhältnis von Netto-Finanzverschuldung zum Konzerneigenkapital) sowie der Anteil immaterieller Güter am Konzerneigenkapital. Banken und Versicherungen sind in dieser Liste nicht enthalten, da für diese logischerweise eigene Maßstäbe gelten. Ebensowenig findet sich die FACC, da hier noch keine aktuellen Zahlen nach dem Börsegang vorhanden waren. Wer gerade etwas überschüssige Liquidität herumliegen hat, könnte sich ja mit einem der offenkundig gut finanzierten Unternehmen näher auseinandersetzen und überlegen, ob es auch in Relation zum Substanzwert sowie zum Ertragspotenzial günstig erscheint.
Titel | EK-Quote (%) | Gearing (%) | intangibles (%) | |
Agrana | 52.1 | 24.1 | 20.3 | |
Amag | 62.8 | 15.2 | 0 | |
Andritz | 16.9 | net cash | 85 | |
AT&S | 41.4 | 32.9 | 3 | |
Buwog | 38.3 | 118.6 | 0 | |
CA Immo | 49.3 | 59.4 | 1 | |
Conwert | 36.1 | 159.5 | 0 | |
Do&Co | 36.6 | net cash | 20.5 | |
EVN | 40.5 | 57.6 | 7 | |
Flughafen | 48.2 | 63.3 | 1 | |
Frauenthal | 17.4 | 177 | 42.5 | |
Immofinanz | 45.8 | 90.7 | 5 | |
Kapsch | 37.1 | 35.1 | 42.9 | |
Lenzing | 46.3 | 47.2 | 8.2 | |
Mayr-Melnhof | 63.8 | net cash | 10 | |
Post | 42.6 | 16.3 | 31.9 | |
OMV | 45.07 | 33 | 24 | |
Palfinger | 42.5 | 74.6 | 42.5 | |
Polytec | 50.5 | 13.7 | 13.8 | |
RHI | 28.3 | 94.6 | 22.9 | |
Rosenbauer | 36.2 | 84.9 | 3 | |
S Immo | 30 | 206 | 0 | |
SBO | 55.5 | 8.4 | 16.3 | |
Semperit | 48.9 | net cash | 25 | |
Strabag | 30.2 | 9.1 | 16 | |
Telekom | 15.9 | 326 | >EK | |
Valneva | 57.6 | 28.57 | 86.4 | |
Verbund | 44.6 | 66.7 | 15.4 | |
Voest | 42.9 | 44.7 | 28 | |
Warimpex | 16.2 | 457 | 1 | |
Wienerberger | 53.5 | 23.9 | 38 | |
Wolford | 52 | 24 | 14.5 | |
Zumtobel | 32.2 | 48.9 | 74 |
Anmerkungen:
Bei der „intangibles-Quote“ habe ich sämtliche immateriellen Vermögenwerte zusammengezählt und in Verhältnis zum Eigenkapital gesetzt. Man kann hier natürlich auch die goodwill-Quote im engeren Sinn heranziehen. Was das Gearing betrifft, so sollte man bei dieser Kennzahl aufgrund der Art des Geschäftsmodelles die Immobiliengesellschaften (Buwog, CA Immo, Conwert, Immofinanz, S Immo und Warimpex) gesondert betrachten, denn hier sind nach meinem Verständnis höhere Fremdkapitaleinsätze üblich und weniger problematisch. Bei OMV, Telekom, Voest und Wienerberger sind die Hybridanleihen auf der Eigenkapitalseite berücksichtigt.
Persönliche Interpretation der Liste
Rein auf Basis dieser Zahlen gefallen mir aus der Liste Mayr-Melnhof und Semperit am besten. Grundsätzlich gehört auch Do&Co zu meinen Favoriten, hier ist lediglich die sonst im historischen Vergleich immer über 50% gelegene Eigenkapitalquote durch die kürzliche Anleihenbegebung gesunken. Auch Agrana, Amag, AT&S, Post, Polytec, SBO, Wienerberger und Wolford wären für mich noch in einem akzeptablen Bereich. Das sind immerhin 11 der 33 Titel die es in die nächste Runde schaffen würden.
Ich bin äußerst zuversichtlich, dass zumindest irgendeines dieser Unternehmen auch andere harte Qualitäts- und Bewertungskriterien erfüllt und dass es Mister Market in der nächsten Zeit mit Tränen in den Augen und vor Furcht zitternd zu Schnäppchenpreisen zum Kauf anbieten wird. Und schließlich gilt auch am Aktienmarkt: „Luck favors the prepared ones“.
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