Staaten unter die Lupe genommen (Michael Gredenberg)

Heute unternehme ich den Versuch, Staaten fundamental zu untersuchen: Staatsanleihen sind immerhin nach wie vor die beliebteste Anlageklasse. Der Markt für Anleihen ist in etwa doppelt so groß wie der für Aktien – was bedeutet, dass die gesamte Marktkapitalisierung (also der Marktwert aller börsennotierter Unternehmen weltweit) etwa nur halb so groß ist wie die Summe aller Anleihen die im Umlauf sind.

Der Großteil der Anleihen wird von Staaten oder öffentlichen Einrichtungen herausgegeben. Ein Grund diese Institutionen genauer unter die Lupe zu nehmen.

Über 160 Staaten gibt es auf unserer ErdeÜber 160 Staaten gibt es auf unserer Erde

Die fundamentale Analyse eines Unternehmens ist im Vergleich dazu relativ einfach – umso verwunderlicher, dass sich die meisten Anleger – ohne eigene Analyse – auf die Urteile von Rating-Agenturen verlassen. Das “Rating” ist bei Anleihen tatsächlich die wichtigste Kennzahl die über den Wert (und damit auch über die Rendite) bestimmt.Was genau die Rating-Agenturen bei ihrer Analyse machen weis wohl niemand genau – ich konnte jedenfalls keine detaillierten Analysen finden, weder im Internet noch auf Bloomberg. Meistens heißt es einfach nur “dieser Staat wurde von S&P herabgestuft, aufgrund schlechter Wirtschaftsprognosen oder hoher Arbeitslosenzahlen etc.” – keine Details.

Ich unternehme heute den Versuch, einige wichtige Staaten fundamental zu analysieren und miteinander zu vergleichen.

 

Staaten unter der Lupe: Österreich und die Schweiz gegen die G8-Staaten

Die G8-Staaten gelten als die acht wirtschaftlich stärksten Staaten der Welt. Es handelt sich dabei um: USA, China, Japan, Grossbritanien, Deutschland, Frankreich, Italien, und Russland.
Ich werde diese Staaten heute unter die Lupe nehmen – und um unser Heimatland und den deutschsprachigen Bereich auch noch abzubilden nehme ich noch Österreich und die Schweiz in den Vergleich auf.

Österreich:

Fangen wir einmal mit unserem Heimatland Österreich an: Unsere Staatsanleihen mit 10 jähriger Laufzeit rentieren derzeit mit 0,75%. Borgt man also der Republik Österreich für 10 Jahre Geld so bekommt man dafür derzeit 0,75% Zinsen pro Jahr.

Nun hat unser Finanzministerium im Jahre 2013 eine “Eröffnungsbilanz” erstellt, welche alle Vermögenswerte des Staates auf der Aktivseite sowie  die Schulden auf der Passivseite zeigt.  gegenüberstellt. Die Differenz zwischen Vermögen und Schulden ergibt bekanntlich das Eigenkapital.  Österreich hat demzufolge ein negatives Eigenkapital in Höhe von EUR 133,87 Milliarden. Diese Bilanz ist auf der Seite des Finanzministeriums hier einzusehen. Leider konnte ich keine weiteren Bilanzen finden – die Idee dieser Transparenz wurde wohl nachher aufgegeben oder als sinnlos angesehen.

Österreich hat bei S&P immerhin ein AA+ Rating – bei einer börsennotierten Firma mit negativen Eigenkapital wäre das wohl fast unvorstellbar.

Die einzige Garantie die ein Anleihengläubiger eines Staates hat, ist die Fähigkeit des Volkes, die Zinsen und die Rückzahlung für die Anleihen zu erwirtschaften – und zwar in Form von Abgaben an den Staat (Steuern). Steigt die Wirtschaftsleistung eines Staates nicht im ausreichenden Ausmass so muss der Staat die Steuern also zwangsweise erhöhen um diesen Mechanismus in Gang zu halten. Der einzige zusätzliche Ausweg wäre es die Anzahl der Steuerzahler zu erhöhen, was nur über Bevölkerungswachstum oder Zuwanderung passieren kann – aber auch diese Menschen benötigen dann einen Arbeitsplatz um auch Steuern zahlen zu können – was wiederum ein entsprechendes Wachstum der Wirtschaft erfordert.

Schafft es der Staat nicht, entweder das Wirtschaftswachstum anzukurbeln um dadurch die Einnahmen zu erhöhen, oder die Abgabenquote entsprechend zu erhöhen, so risikiert er ein schlechteres Rating und muss mehr Zinsen auf seine Schulden bezahlen – das ganze wirkt wie ein Teufelskreis.

Ein weiteres Beispiel dafür wie paradox die Anlageklasse “Staatsanleihen” manchmal ist: Den meisten Bürgern wird die Anlage in diese Anleihen zur Altersvorsorge, Lebensversicherung, etc. empfohlen. Sie borgen also oft ihrem eigenen Staat Geld und dieser kann aber nur dann zurückzahlen, wenn er die Steuern erhöht, also sich das Geld genau bei den Leuten holt die ihm das Geld geborgt haben.  Da ist die Anlage in Aktien doch wirklich sinnvoller, oder?

Der Unterschied zwischen einem Staat und einem Unternehmen

Börsennotierte Unternehmen sind dazu verpflichtet, Geschäftsberichte zu veröffentlichen die eine Bilanz, eine Gewinn und Verlustrechnung sowie eine Cashflow-Rechnung enthalten. Staaten hingegen halten sich diesbezüglich eher bedeckt. So konnte ich z.B. auf der Webseite des österreichischen Finanzministeriums zwar Budget-Pläne finden, diese zeigen aber immer nur geplante Einnahmen (natürlich vor allem durch Abgaben) gegenüber geplanten Ausgaben. Es ist nicht ersichtlich wie sich die Ausgaben genau gliedern: Was sind Investitionen (z.B. in die Errichtung neuer Gebäude wie Schulen, Spitäler etc oder Infrastruktur wie Strassen) und was ist Aufwand?  Durch Investitionen werden neue Werte geschaffen (also neues Vermögen) durch (Verwaltungs)-Aufwand wird einfach Geld verbraucht. Das macht einen grossen Unterschied.

Kurzum: Ein Unternehmen lässt sich im Vergleich zu einem Staat relativ leicht analysieren. Natürlich ist es wichtig, dass der Staat für seine Bürger sorgt und ein gutes Sozialsystem hat, aber aus Sicht eines Investors ist es in erster Linie wichtig zu wissen in was er eigentlich investiert.

Schweiz:

Abgesehen von den G8-Staaten und unserem Heimatland Österreich habe ich noch die Schweiz in den Vergleich aufgenommen. Erstens weil die Schweiz  für mich eine zweite Heimat ist, und zweitens weil sie meiner Ansicht nach wirtschaftlich überdurchschnittlich gut da steht: Viele weltbekannte Konzerne aus vielen Bereichen sind Schweizer Unternehmen. So deckt die Schweiz nicht nur ihre Klischees ab wie Uhrenindustrie (Rolex, Patek Phillipe, Swatch, etc) oder den Bankensektor mit UBS oder Credit Suisse. Auch der größte Nahrungsmittelhersteller der Welt ist ein Schweizer Unternehmen: Nestle. Im Pharmabereich ist die Schweiz ebenfalls sehr stark vertreten mit Novartis, Roche und anderen.
Hier hier die Diversifikation der Wirtschaft aber noch nicht auf: Es gibt z.B. auch im Technologiesektor Unternehmen wie ABB welche in ihrem Bereich ebenfalls Marktführer sind.

Gemessen am BIP pro Einwohner war die Schweiz 2013 das zweitreichste Land der Welt (nach Norwegen) – ich denke heute ist sie das reichste Land der Welt, da der Schweizer Franken seither um 20% zulegen konnte, ohne dass die Wirtschaft sichtlichen Schaden genommen hat. (Österreich rangierte auf dieser Rangliste übrigens auf Platz 21)

Norwegen hingegen ist als großer Ölproduzent natürlich vom Weltmarktpreis für Rohöl abhänig – dieser ist seit 2013 stark zurückgegangen.

Der Vergleich aller  Staaten:

In der Tabelle habe ich wichtige vergleichbare Kennzahlen zusammengefasst (die Zahlen sind alle von Ende 2014 – nur das BIP pro Einwohner ist (leider) von 2013):

  Schulden in % des BIP BIP pro Einwohner (in USD) Schulden pro Einwohner (in USD) Arbeitslose Einwohner (Mio) Rendite Anleihen 10J.
Österreich 80,20% 45.079,00 36.153,36 9,10% 8,22 0,76%
Deutschland 74,70% 43.884,00 32.781,35 4,70% 81,00 0,63%
Schweiz 34,70% 56.950,00 19.761,65 3,30% 8,06 0,00%
Frankreich 95,50% 37.532,00 35.843,06 10,00% 66,26 0,91%
Italien 134,10% 35.281,00 47.311,82 13,00% 61,68 1,86%
Grossbritanien 86,60% 38.259,00 33.132,29 5,50% 63,74 1,98%
USA 71,20% 53.042,00 37.765,90 6,70% 318,89 2,26%
China 22,40% 11.907,00 2.667,17 4,09% 1.355,69 3,40%
Russland 13,40% 25.248,00 3.383,23 5,11% 142,47 4,56%
Japan 227,70% 36.223,00 82.479,77 3,73% 127,10 0,38%

 

Schulden in % des BIP

In der ersten Spalte ist ersichtlich wie hoch die Schulden eines Staates im Vergleich zu seiner jährlichen Wirtschaftsleistung sind (dem Bruttoinlandsprodukt = BIP).  Hier fällt sofort auf, dass z.B. Russland die geringste Schuldenquete unter allen Vergleichskandidaten hat.  Dennoch gab es im letzten Jahr in Russland eine massive Währungskrise, durch die der Rubel massiv an Wert verlor. Die Ursachen dafür waren aber eher politischer Natur. Putins Sturheit gegenüber den “westlichen” Staaten besonders in Bezug auf die Ukraine-Krise führten dazu, dass Investoren aus dem Westen sich aus Russland zurückzogen – aus Angst.

Auf zweitem Platz findet sich bereits die Schweiz mit einer Schuldenquete von 34,7% des BIP.

Den letzten Platz belegt Japan mit sagenhaften 227,7% Staatsschulden im Vergleich zum BIP. Die Ursache dafür liegt mittlerweile 25 Jahre in der Vergangenheit:  In den 1980er Jahren erlebte Japan einen regelrechten Wirtschaftsboom welcher Anfang der 1990er Jahre aprupt zu einem Ende kam. Immobilienpreise, Preise für Aktien etc. welche in den Jahren vorher explodierten fielen plötzlich ins Bodenlose und das Land stürzte in eine Rezession inkl. Deflation. Um dem entgegenzuwirken sprang der Staat ein und versuchte die Wirtschaft durch die Aufnahme von Schulden wieder zu beleben. Sind die Bürger nicht mehr bereit Geld auszugeben, so muss der Staat einspringen – so dachte man in Japan – und so wird das auch heute oft noch gemacht. (siehe z.B. quantitative Easing der FED und der EZB)
Das führt natürlich dazu, dass sich die Staatsschulden erhöhen.

BIP pro Einwohner

Beim BIP pro Einwohner – welches ein Maßstab für den “Reichtum” eines Landes darstellt handelt es sich um eine Kennzahl die zeigt, wie viel Wirtschaftsleistung jeder einzelne Bürger pro Jahr erwirtschaften kann.  Ist diese Wirtschaftsleistung pro Bürger höher so können natürlich die Unternehmen sich auch höhere Löhne und Gehälter leisten, sodass ein höheres BIP pro Einwohner mehr oder weniger jedem Bürger eines Staates zu Gute kommt. Man kann also sagen: Ist das BIP pro Einwohner höher so sind auch die durchschnittlichen Löhne und Gehälter in einem Staat höher.

Die Schweiz belegte hier 2013 den Platz 1, gefolgt von den USA. Da die Werte in USD sind und der Schweizer Franken mittlerweile zum US-Dollar aufgewertet hat, ist der Abstand mittlerweile sicher größer.

Am “ärmsten” ist hier China: Das BIP pro Einwohner beträgt hier nur etwa ein Viertel dessen von Österreich, d.h. die einzelnen Bürger bekommen (noch) nicht viel mit vom “Wirtschaftswunder China”

Schulden pro Einwohner

Diese Kennzahl habe ich errechnet um zu zeigen, wie viele Schulden jeder einzelne Bürger eines Landes hat. Die Berechnung ergibt sich aus den ersten beiden Spalten: Schulden in % des BIP multipliziert mit dem BIP pro Einwohner.

Es ist z.B. interessant zu wissen, dass jeder Österreicher Schulden in Höhe von USD 36.153,36 hat  (= etwa EUR 35.000,-) – selbst wenn er keinen einzigen Kredit aufgenommen hat Für diese Schulden muss er dennoch “bürgen” indem er Abgaben leistet – und wenn diese Abgaben für den Schuldendienst einmal nicht mehr ausreichend sind, so werden sie höchstwahrscheinlich vom Staat erhöht.

Arbeitslose

Auch die Arbeitslosenquote ist ein wichtiges Vergleichsmerkmal zwischen Staaten: Jeder Staat strebt natürlich eine niedrige Arbeitslosenquote an, da Arbeitslose den Staat Geld kosten, während Erwerbstätige Geld einbringen (durch Steuern). Die Fähigkeit eines Staates, Arbeitsplätze zu schaffen – sei es durch attraktive Wirtschaftspolitik gegenüber den Arbeitgebern oder durch Förderung der Wirtschaft generell – zeigt sich im Vergleich der Arbeitslosenzahlen.

Hier liegt auch die Schweiz ganz vorne mit nur 3,3% Arbeitslosigkeit. Frankreich und Italien mit jeweils über 10% Arbeitslosigkeit liegen ganz hinten. Auch Österreich steht mit 9,1% nicht besonders gut da – vielleicht mit ein Grund für die Steuerreform 2015 welche die Lohnnebenkosten senken soll.

Fairerweise muss man sagen, dass die Arbeitslosigkeit von den unterschiedlichen Statistikern der einzelnen Länder verschieden beurteilt wird: Die Zahlen kann man also leider nicht wirklich 1:1 miteinander vergleichen, aber ein grobes Bild erhält man dennoch.

Rendite Anleihen 10 Jahre Laufzeit

Hier ist ersichtlich wie der Markt die einzelnen Staaten “benotet”: Sind die Renditen auf Anleihen höher, so muss der Staat mehr Zinsen bezahlen, da der Markt mehr Risiko in einer Investition in Schulden dieses Staates sieht.

Die höchsten Renditen haben derzeit die Anleihen von Russland (mit 4,56%) und die niedrigsten die von er Schweiz mit quasi 0,00%. Borgt man also der Schweiz für 10 Jahre Geld, so erhält man 10 Jahre lang keine Zinsen und am Ende der Laufzeit sein Geld zurück. Das Vertrauen in die Schweiz ist also extrem gross.

Ich persönlich vertraue auch sehr auf die Schweiz, würde aber kein Geld jemanden für 10 Jahre ohne Zinsen borgen – egal wie groß das Vertrauen ist. Noch ein Hinweis auf die Überbewertung von Staatsanleihen.

 Die Entwicklung der Schulden im Vergleich

Staatsschulden im Vergleich zum BIPStaatsschulden im Vergleich zum BIP

Ich habe einen Chart angefertigt, welcher die Entwicklung der Staatsschulden der verglichenen Staaten über die letzten 10 Jahre zeigt. Die Schulden sind hier in Relation zum BIP dargestellt und der Chart zeigt die absoluten Werte um darzustellen, wie groß die Unterschiede der Verschuldung sind.

Außerdem habe ich noch einen weiteren Chart hergestellt, der die relative Entwicklung der Schulden seit 10 Jahren zeigt – also quasi so tut als ob vor 10 Jahren alle unter gleichen Vorraussetzungen (Schulden von “100”) gestartet wären – wie sich die Situation bis heute entwickelt hat:

Relative Entwicklung der Staatsschulden im Vergleich zum BIP in 10 JahrenRelative Entwicklung der Staatsschulden im Vergleich zum BIP in 10 Jahren

Dieser Chart ist meiner Ansicht nach noch aussagekräftiger: Hier sieht man z.B., dass Großbritannien in den letzten 10 Jahren die größte Neuverschuldung hatte und die Schweiz und China die meisten Schulden abbauen konnten.

 Fazit:

Ich habe nun – sehr grob – die Unterschiede von einigen Staaten aufgezeigt. Die fundamentale Analyse aller Faktoren gestaltet sich aber um ein Vielfaches komplexerfd als die Analyse eines Unternehmens.  Die Investition in Staatsanleihen gilt dennoch als extrem sicher – sogar “mündelsicher”. Das liegt meiner Ansicht nach besonders daran, dass dieses System sich selbst am Leben erhält: Staaten erhalten ihre gute Bonität, weil sie immer brav ihre Schuldendienste leisten. Dies finanzieren sie entweder durch die Aufnahme neuer Schulden oder durch die Erhöhung von Abgaben – es sei denn die Wirtschaftsleistung des Staates kann gesteigert werden. Das kann entweder durch Bevölkerungszuwachs, durch Einwanderung oder durch Förderung der Wirtschaft passieren.

 

Der Beitrag Staaten unter die Lupe genommen erschien zuerst auf Financeblog.



(22.05.2015)

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Michael Gredenberg

Inode-Gründer. Heute u.a. passionierter Radfahrer und Finanzautor via financeblog.at.

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