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13.04.2015

„The day after“ - Das Training nach dem Marathon (Wilhelm Lilge)


Die meisten Läufer bereiten sich über mehrere Monate auf einen Marathon vor. Irgendwann ist dann der große Tag vorbei, und was dann?
Auch wenn es sich viele Läufer nicht eingestehen wollen, es sind weniger Weihnachten und Ostern, die die wirklich markanten Termine im Laufe des Jahres markieren, sondern der Marathon im Frühling und der Marathon im Herbst sind die höchsten Läufer-Feiertage, um die sich (fast) alles dreht. Wenn eine neue Bestzeit her soll, dann wird jeweils bis dorthin alles minutiös geplant, nichts wird dem Zufall überlassen. Je näher dann der Marathon kommt, umso größer wird dann das Prickeln, das sich bei guter Vorbereitung in positive Anspannung – in Vorfreude – steigert. Beim Rennen selbst merken Sie dann, alles läuft rund, im Vergleich zu den harten Trainingseinheiten geht doch alles ganz leicht, Sie freuen sich auf km 30, weil Sie dort endlich „die Bremsen etwas lösen“ können. Die Schmerzen auf den letzten Kilometern nehmen Sie gerne an, Sie vermitteln Ihnen das Gefühl, dass Sie etwas Besonderes leisten. Sie kommen auf die Zielgerade und die Uhr zeigt, dass Sie nun endlich das erreichen, wovon Sie solange geträumt haben. Sie laufen ins Ziel und durchbrechen endlich die 3:00 oder die 4:00 und in Ihrem Glück würden Sie am liebsten mit der ganzen Welt feiern. 

Doch was ist das? Keiner hat es offensichtlich bemerkt, dass Sie nun – scheinbar – ein anderer Mensch sind, weil Sie die 42km in 179 statt in „nur“ 181 Minuten gelaufen sind. Der Sprecher hat Sie nicht einmal bemerkt, weil gerade die „flower ceremony“ der drei Gesamtsieger zu Ende gegangen ist. Die Helfer im Zieleinlaufkanal sagen ständig nur „Weitergehen, nicht stehen bleiben“, was in dieser historisch einmaligen Situation doch höchst unpassend ist. Sie werden von keinem Empfangskomitee begrüßt, vom ÖLV werden Sie auch nicht für Rio nominiert und irgendwie entsteht bei Ihnen der Eindruck, dass allen rundherum Ihre Leistung vollkommen „wurscht“ ist. Als dann am Abend Ihre ahnungslose Schwiegermutter noch fragt, wie Sie denn eigentlich den schönen Sonntag verbracht hätten, bringt das das Fass endgültig zum Überlaufen.

Der Marathon ist vorbei, das Leben geht weiter, die Welt dreht sich noch genauso wie vorher, fast so als ob nichts gewesen wäre. Das gilt übrigens genau so, falls Sie keine Bestzeit gelaufen sind, sondern wieder einmal fürchterlich eingegangen sind und Sie monatelang scheinbar vollkommen sinnlos trainiert haben – nur tut es dann noch viel mehr weh.

Mehr als zwei Drittel (!) aller Marathonläufer werden innerhalb der drei Wochen nach einem Marathon krank oder verletzen sich. Viele Sportler fallen nach dem Wettkampf in eine Art „post-kompetitive Depression“, in ein richtiges Loch, aus dem das Herauskommen äußerst mühsam ist. Durch die (fast) bedingungslose Fokussierung auf ein bestimmtes, großes Ziel bündelt der Körper alle Energien für diese Aufgabe. Störfaktoren werden so gut wie möglich eliminiert, was auch unbewusst abläuft. Das Immunsystem ist vor dem Wettkampf so stark, dass ehrgeizige und gut vorbereitete Sportler vor einem wichtigen Rennen kaum krank werden. Die regelmäßig knapp vor dem Wettkampf auftretende Erkältung ist hingegen fast immer durch Angst vor Versagen oder mangelnder Leistungsbereitschaft begründet, vielleicht auch, weil die Vorbereitung alles andere als optimal gelaufen ist. Auch manche Spitzensportler verwenden unbewusst Krankheit als Flucht, als Alibi, um sich der Herausforderung nicht stellen zu müssen. Manche Sportler suchen förmlich schon nach den geringsten Anzeichen von Krankheitssymptomen, die mit nicht zu übersehender Erleichterung registriert werden, auch wenn das nach außen hin mit einem: „ach, was habe ich für ein Pech“, dokumentiert wird. Dieses Phänomen ist keineswegs auf den Sport beschränkt, Schüler und Studenten können so wichtigen Prüfungen zumindest vorübergehend entgehen.

Nun zurück aber zu den Sportlern, die wirklich wollen. Deren Körper ist anscheinend in der Lage, Immunsystem-Schwächen in die Zeit nach dem Marathon zu „verschieben“. Es ist nicht die physische und psychische Extrembelastung des Wettkampfes alleine, die zu Krankheiten und auch einem rapiden Formverfall in den Wochen nach dem Marathon führt. Das Hauptübel ist die meist vorhandene Planlosigkeit und das Warten, dass irgendetwas von alleine passiert, das den Absturz in dieses bodenlose Loch verhindern kann.

Deshalb, Maßnahme Nr. 1: Setzen Sie sich schon vor dem Marathon ein Ziel für die Zeit danach, das kann auch der nächste Marathon mit einer bestimmten Zeit sein. Planen Sie davor bewusst auch, was Sie zur Unterstützung der Regeneration unternehmen werden. Wenn Ihnen beim Marathon bei km 35 einfällt, dass Sie z.B. in der übernächsten Woche den bereits gebuchten Urlaub antreten werden – was Sie natürlich in einem mit sich zufriedenen Zustand tun wollen – wird Ihnen das sicher etwas auf den letzten Kilometern helfen die aufkeimende Sinnfrage zu klären.

Mehr als 42km auf Asphalt möglichst schnell zu laufen, ist in jedem Fall eine Grenzbelastung. Das gilt für den 5-Stunden-Läufer genau so wie für jene, die „nur“ 2:07 unterwegs sind. Ein Marathonwettkampf ist niemals ein Beitrag zur Gesundheitsförderung, weshalb man auch nur absolut fit und gesund an der Startlinie stehen sollte. Der Wettkampf ist aber die Motivation für ein ganzjähriges gesundes Ausdauertraining und der Lohn für alle Bemühungen und die aufgebrachte Disziplin in der Vorbereitung. Die hohe Krankheitsanfälligkeit nach einem Marathon ist natürlich nicht nur psychisch bedingt, sondern das Immunsystem ist nach dem Marathon mit den notwendigen Reparaturmaßnahmen schon ziemlich ausgelastet. Entsprechende medizinische Untersuchungen haben gezeigt, dass auch noch vier Wochen nach einem Marathon Entzündungsreste an den Gelenken zu finden sind, weshalb weitere Belastungen zu längeren Verletzungen führen können.

Nach einem schlechten Marathon ist die Lust aufs Training ohnehin meist etwas gedämpft. Wenn es aber (überraschend?) gut gegangen ist, kann die entstehende Euphorie zu einem groben Auseinanderklaffen von „Wollen“ und „Können“ führen. In diesem Fall fühlt man sich förmlich unverwundbar und glaubt, die gute Form gleich für den nächsten Wettkampf ausnützen zu müssen. Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Es kann auch durchaus sein, dass es einige Wochen oder ein paar Wettkämpfe tatsächlich noch ganz gut geht, aber der Absturz folgt so sicher wie das Amen im Gebet.

Deshalb, Maßnahme Nr. 2: Gönnen Sie Ihrem geschundenen Körper wirklich eine ordentliche Erholungsphase. Komplettes Nichts-Tun werden Sie sowieso nicht aushalten, das richtige Stichwort heißt: „aktive Erholung“.

Man kann keine allgemeingültige Regel angeben, wie lange diese Erholungsphase dauern sollte und was man genau tun sollte, von einer drei- bis vierwöchigen Erholungsdauer sollten Sie aber schon ausgehen. Interessant ist z.B., dass die Wiederherstellung nach einem Marathon bei guten Bedingungen meist länger dauert als nach einem Hitzelauf. Läuferfreundliche Bedingungen (z.B. 10 – 15 Grad, …) ermöglichen normalerweise eine höhere Ausbelastung und Belastung der Muskulatur als bei großer Hitze, wo das Herz-Kreislaufsystem schon „abriegelt“, bevor die Muskulatur bis an die Grenze beansprucht wird. Bei hohen Temperaturen ist allerdings auch immer die Gefahr einer starken Dehydrierung (innere Austrocknung) gegeben, was zu einer deutlich verzögerten Regeneration führen kann. Wenn Sie im Ziel zwei bis drei Kilo weniger haben als am Start, ist das noch ziemlich normal. Wenn Sie aber vier oder sechs Kilo weniger haben, dann muss der Großteil in Form von Flüssigkeit verloren gegangen sein (so viel Fett kann man bei einem Marathon leider nicht abbauen), die möglichst rasch wieder ersetzt werden muss.

Einen entscheidenden Einfluss auf die Regenerationsdauer hat auch die Renneinteilung, also die Taktik. Wenn Sie zu schnell beginnen (wie 80% der Läufer um Sie herum), dann kann es leider sein, dass Sie sich von km 15 oder 20 an nur mühsam von einem Kilometer zum nächsten schleppen. Die Qualen werden dann in weiterer Folge umso schlimmer empfunden, wenn man in der zweiten Hälfte von scheinbar fast allen Läufern überholt wird. Diese Situation beflügelt nicht gerade. Bedingt dadurch, dass Sie dann 20 oder 25 km lang „am Anschlag“ laufen, dauert die Regeneration mehrfach länger als bei gleichmäßiger Einteilung oder gar bei „negative splits“, wie dies die besten Läufer regelmäßig demonstrieren.

Auch wenn Sie durch die nicht unbedingt abwechslungsreiche Kost in den letzten drei Tagen vor dem Marathon (einmal kochen Sie die Nudeln, dann Ihr Partner, dann wieder Sie, …) keine Nudeln mehr sehen können: nach dem Marathon sollten Sie Ihre komplett entleerten Energiespeicher, d.h. die Glykogenspeicher, möglichst rasch mit Kohlenhydraten wieder auffüllen. Aber auch von der Bausubstanz wird beim Marathon einiges zerstört. Deshalb müssen Sie Ihren Körper auch mit hochwertigen Baumaterialien zur Reparatur versorgen. Nach dem Marathon sollten Sie also auch Eiweiß, bzw. Aminosäuren zuführen. Ganz allgemein sollten Sie in den ersten Tagen nach dem Marathon viel essen, viel trinken und viel schlafen, damit sich der Körper wieder schnell erfangen kann.

Soll man nun gar nicht laufen?

Ich glaube, an den ersten drei bis fünf Tagen nach einem Marathon hat das Laufen gar keinen Sinn. Wenn Sie wirklich an die Grenze gegangen sind, dann haben Sie ohnehin so einen Muskelkater, dass Sie mit weiterem Laufen eher mehr zerstören als verbessern. Das Herz-Kreislaufsystem sollte aber durch leichte Aktivität etwas angekurbelt werden. Gehen Sie (locker) schwimmen, Rad fahren, Inline-Skaten oder machen Sie Spaziergänge durch die schöne Natur bei feinem Frühlingswetter. Als erste Laufeinheit genügt ein halbstündiger ganz lockerer Dauerlauf. Beobachten Sie Ihren Puls! Wenn der Ruhepuls und der Puls beim gemütlichen Dauerlauf noch deutlich erhöht sind, ist das ein untrügliches Signal dafür, dass der Körper noch mit Reparaturmaßnahmen ausgelastet ist. Solange das zu bemerken ist, würde jegliche Belastung die Erholung nur weiter verzögern.

Sie können am Tag nach dem Marathon übrigens ein Blutbild machen lassen, damit Sie die Auswirkungen schwarz auf weiß sehen. Der Kreatinkinase (CK)-Wert zeigt, wie viel an muskulärer Zellsubstanz zugrunde gegangen ist. Beim gesunden Menschen in Ruhe liegt dieser Wert unter 150, im „normalen“ Training vielleicht bis 300 nach Belastungen. Nach einem Marathon können hingegen Werte von 3000 oder 4000 gemessen werden, also der 20- oder 30-fache Normalwert! Sagen Sie im Labor aber unbedingt dazu, dass Sie einen Marathon gelaufen sind, sonst kann es Ihnen wie einer österreichischen Spitzenläuferin ergehen, die nach der Auswertung am Nachmittag vom Labor die telefonische Nachricht bekam, dass Sie sich möglichst schnell ins Spital begeben möge, weil akuter Herzinfarkt-Verdacht bestünde. Beim Herzinfarkt zeigt eben dieser Wert auch an, dass viele Zellen zugrunde gegangen sind, weshalb auch oft zwischen dem CK-NAC und dem CK-MB Wert unterschieden wird. Am Harnstoff-Wert im Blut erkennen Sie, wie sehr das Eiweiß als Energieträger herangezogen wurde (weil keine Kohlenhydrate mehr da waren), da Harnstoff das Stoffwechsel-Endprodukt des Eiweißstoffwechsels ist. Bei einer starken Erhöhung sollten Sie massiv Kohlenhydrate schaufeln, damit der Körper nicht weiter seine eigene Muskulatur auffrisst.
Konkret könnte das Wiederherstellungstraining in den ersten vier Wochen nach dem Marathon folgendermaßen aussehen:


Woche 1:

1 x Rad fahren (max. 120 min), 1 x schwimmen, 1 -2 x locker laufen

zusätzlich: viel essen, trinken, schlafen und auch passive Regenerationsmaßnahmen (Massage, Physiotherapie, …), Puls beobachten, wenn kein Muskelkater mehr: dehnen, aber kein Krafttraining

Woche 2:

Lauftraining: ein Drittel bis Hälfte vom gewohnten Umfang (alles mit geringer Intensität), Dauerläufe max. 90 min, ergänzen/ersetzen durch alternatives Ausdauertraining, kein Krafttraining

Zusätzlich: sicherheitshalber abwiegen (jetzt nimmt man sehr leicht zu), Puls beobachten

Woche 3:

Lauftraining: nicht mehr als die Hälfte des gewohnten Umfanges, evtl. mit einem Fahrtspiel testen, wie sich die Muskulatur bei höherem Tempo (keine Belastung!) anfühlt, ergänzen durch leichtes koordinatives Training (Lauf ABC, lockere Steigerungsläufe)
Zusätzlich: Alternatives Ausdauertraining und regenerative Maßnahmen nach Möglichkeit

Woche 4:
Wenn subjektiv (Gefühl) und objektiv (Puls, …) wieder ganz fit, dann kann am Ende der 4. Woche wieder ein wenig wichtiger Wettkampf (max. Halbmarathon) bestritten werden, davor ist aber noch keine Belastung notwendig. Dieser Wettkampf kann gleichzeitig eine Testfunktion über das Ausmaß der Wiederherstellung darstellen.


Übrigens: Spitzenläufer bestreiten üblicherweise zwei oder maximal drei Marathonläufe pro Jahr. Man kann natürlich auch mehr Läufe mit sightseeing-Charakter durchführen, dann darf man sich aber nicht immer wieder neue Bestzeiten erwarten.

Anm: diesen Beitrag hab ich in ähnlicher Form vor ein paar Jahren für das Laufsport-Magazin geschrieben.


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13.04.2015

„The day after“ - Das Training nach dem Marathon (Wilhelm Lilge)


Die meisten Läufer bereiten sich über mehrere Monate auf einen Marathon vor. Irgendwann ist dann der große Tag vorbei, und was dann?
Auch wenn es sich viele Läufer nicht eingestehen wollen, es sind weniger Weihnachten und Ostern, die die wirklich markanten Termine im Laufe des Jahres markieren, sondern der Marathon im Frühling und der Marathon im Herbst sind die höchsten Läufer-Feiertage, um die sich (fast) alles dreht. Wenn eine neue Bestzeit her soll, dann wird jeweils bis dorthin alles minutiös geplant, nichts wird dem Zufall überlassen. Je näher dann der Marathon kommt, umso größer wird dann das Prickeln, das sich bei guter Vorbereitung in positive Anspannung – in Vorfreude – steigert. Beim Rennen selbst merken Sie dann, alles läuft rund, im Vergleich zu den harten Trainingseinheiten geht doch alles ganz leicht, Sie freuen sich auf km 30, weil Sie dort endlich „die Bremsen etwas lösen“ können. Die Schmerzen auf den letzten Kilometern nehmen Sie gerne an, Sie vermitteln Ihnen das Gefühl, dass Sie etwas Besonderes leisten. Sie kommen auf die Zielgerade und die Uhr zeigt, dass Sie nun endlich das erreichen, wovon Sie solange geträumt haben. Sie laufen ins Ziel und durchbrechen endlich die 3:00 oder die 4:00 und in Ihrem Glück würden Sie am liebsten mit der ganzen Welt feiern. 

Doch was ist das? Keiner hat es offensichtlich bemerkt, dass Sie nun – scheinbar – ein anderer Mensch sind, weil Sie die 42km in 179 statt in „nur“ 181 Minuten gelaufen sind. Der Sprecher hat Sie nicht einmal bemerkt, weil gerade die „flower ceremony“ der drei Gesamtsieger zu Ende gegangen ist. Die Helfer im Zieleinlaufkanal sagen ständig nur „Weitergehen, nicht stehen bleiben“, was in dieser historisch einmaligen Situation doch höchst unpassend ist. Sie werden von keinem Empfangskomitee begrüßt, vom ÖLV werden Sie auch nicht für Rio nominiert und irgendwie entsteht bei Ihnen der Eindruck, dass allen rundherum Ihre Leistung vollkommen „wurscht“ ist. Als dann am Abend Ihre ahnungslose Schwiegermutter noch fragt, wie Sie denn eigentlich den schönen Sonntag verbracht hätten, bringt das das Fass endgültig zum Überlaufen.

Der Marathon ist vorbei, das Leben geht weiter, die Welt dreht sich noch genauso wie vorher, fast so als ob nichts gewesen wäre. Das gilt übrigens genau so, falls Sie keine Bestzeit gelaufen sind, sondern wieder einmal fürchterlich eingegangen sind und Sie monatelang scheinbar vollkommen sinnlos trainiert haben – nur tut es dann noch viel mehr weh.

Mehr als zwei Drittel (!) aller Marathonläufer werden innerhalb der drei Wochen nach einem Marathon krank oder verletzen sich. Viele Sportler fallen nach dem Wettkampf in eine Art „post-kompetitive Depression“, in ein richtiges Loch, aus dem das Herauskommen äußerst mühsam ist. Durch die (fast) bedingungslose Fokussierung auf ein bestimmtes, großes Ziel bündelt der Körper alle Energien für diese Aufgabe. Störfaktoren werden so gut wie möglich eliminiert, was auch unbewusst abläuft. Das Immunsystem ist vor dem Wettkampf so stark, dass ehrgeizige und gut vorbereitete Sportler vor einem wichtigen Rennen kaum krank werden. Die regelmäßig knapp vor dem Wettkampf auftretende Erkältung ist hingegen fast immer durch Angst vor Versagen oder mangelnder Leistungsbereitschaft begründet, vielleicht auch, weil die Vorbereitung alles andere als optimal gelaufen ist. Auch manche Spitzensportler verwenden unbewusst Krankheit als Flucht, als Alibi, um sich der Herausforderung nicht stellen zu müssen. Manche Sportler suchen förmlich schon nach den geringsten Anzeichen von Krankheitssymptomen, die mit nicht zu übersehender Erleichterung registriert werden, auch wenn das nach außen hin mit einem: „ach, was habe ich für ein Pech“, dokumentiert wird. Dieses Phänomen ist keineswegs auf den Sport beschränkt, Schüler und Studenten können so wichtigen Prüfungen zumindest vorübergehend entgehen.

Nun zurück aber zu den Sportlern, die wirklich wollen. Deren Körper ist anscheinend in der Lage, Immunsystem-Schwächen in die Zeit nach dem Marathon zu „verschieben“. Es ist nicht die physische und psychische Extrembelastung des Wettkampfes alleine, die zu Krankheiten und auch einem rapiden Formverfall in den Wochen nach dem Marathon führt. Das Hauptübel ist die meist vorhandene Planlosigkeit und das Warten, dass irgendetwas von alleine passiert, das den Absturz in dieses bodenlose Loch verhindern kann.

Deshalb, Maßnahme Nr. 1: Setzen Sie sich schon vor dem Marathon ein Ziel für die Zeit danach, das kann auch der nächste Marathon mit einer bestimmten Zeit sein. Planen Sie davor bewusst auch, was Sie zur Unterstützung der Regeneration unternehmen werden. Wenn Ihnen beim Marathon bei km 35 einfällt, dass Sie z.B. in der übernächsten Woche den bereits gebuchten Urlaub antreten werden – was Sie natürlich in einem mit sich zufriedenen Zustand tun wollen – wird Ihnen das sicher etwas auf den letzten Kilometern helfen die aufkeimende Sinnfrage zu klären.

Mehr als 42km auf Asphalt möglichst schnell zu laufen, ist in jedem Fall eine Grenzbelastung. Das gilt für den 5-Stunden-Läufer genau so wie für jene, die „nur“ 2:07 unterwegs sind. Ein Marathonwettkampf ist niemals ein Beitrag zur Gesundheitsförderung, weshalb man auch nur absolut fit und gesund an der Startlinie stehen sollte. Der Wettkampf ist aber die Motivation für ein ganzjähriges gesundes Ausdauertraining und der Lohn für alle Bemühungen und die aufgebrachte Disziplin in der Vorbereitung. Die hohe Krankheitsanfälligkeit nach einem Marathon ist natürlich nicht nur psychisch bedingt, sondern das Immunsystem ist nach dem Marathon mit den notwendigen Reparaturmaßnahmen schon ziemlich ausgelastet. Entsprechende medizinische Untersuchungen haben gezeigt, dass auch noch vier Wochen nach einem Marathon Entzündungsreste an den Gelenken zu finden sind, weshalb weitere Belastungen zu längeren Verletzungen führen können.

Nach einem schlechten Marathon ist die Lust aufs Training ohnehin meist etwas gedämpft. Wenn es aber (überraschend?) gut gegangen ist, kann die entstehende Euphorie zu einem groben Auseinanderklaffen von „Wollen“ und „Können“ führen. In diesem Fall fühlt man sich förmlich unverwundbar und glaubt, die gute Form gleich für den nächsten Wettkampf ausnützen zu müssen. Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Es kann auch durchaus sein, dass es einige Wochen oder ein paar Wettkämpfe tatsächlich noch ganz gut geht, aber der Absturz folgt so sicher wie das Amen im Gebet.

Deshalb, Maßnahme Nr. 2: Gönnen Sie Ihrem geschundenen Körper wirklich eine ordentliche Erholungsphase. Komplettes Nichts-Tun werden Sie sowieso nicht aushalten, das richtige Stichwort heißt: „aktive Erholung“.

Man kann keine allgemeingültige Regel angeben, wie lange diese Erholungsphase dauern sollte und was man genau tun sollte, von einer drei- bis vierwöchigen Erholungsdauer sollten Sie aber schon ausgehen. Interessant ist z.B., dass die Wiederherstellung nach einem Marathon bei guten Bedingungen meist länger dauert als nach einem Hitzelauf. Läuferfreundliche Bedingungen (z.B. 10 – 15 Grad, …) ermöglichen normalerweise eine höhere Ausbelastung und Belastung der Muskulatur als bei großer Hitze, wo das Herz-Kreislaufsystem schon „abriegelt“, bevor die Muskulatur bis an die Grenze beansprucht wird. Bei hohen Temperaturen ist allerdings auch immer die Gefahr einer starken Dehydrierung (innere Austrocknung) gegeben, was zu einer deutlich verzögerten Regeneration führen kann. Wenn Sie im Ziel zwei bis drei Kilo weniger haben als am Start, ist das noch ziemlich normal. Wenn Sie aber vier oder sechs Kilo weniger haben, dann muss der Großteil in Form von Flüssigkeit verloren gegangen sein (so viel Fett kann man bei einem Marathon leider nicht abbauen), die möglichst rasch wieder ersetzt werden muss.

Einen entscheidenden Einfluss auf die Regenerationsdauer hat auch die Renneinteilung, also die Taktik. Wenn Sie zu schnell beginnen (wie 80% der Läufer um Sie herum), dann kann es leider sein, dass Sie sich von km 15 oder 20 an nur mühsam von einem Kilometer zum nächsten schleppen. Die Qualen werden dann in weiterer Folge umso schlimmer empfunden, wenn man in der zweiten Hälfte von scheinbar fast allen Läufern überholt wird. Diese Situation beflügelt nicht gerade. Bedingt dadurch, dass Sie dann 20 oder 25 km lang „am Anschlag“ laufen, dauert die Regeneration mehrfach länger als bei gleichmäßiger Einteilung oder gar bei „negative splits“, wie dies die besten Läufer regelmäßig demonstrieren.

Auch wenn Sie durch die nicht unbedingt abwechslungsreiche Kost in den letzten drei Tagen vor dem Marathon (einmal kochen Sie die Nudeln, dann Ihr Partner, dann wieder Sie, …) keine Nudeln mehr sehen können: nach dem Marathon sollten Sie Ihre komplett entleerten Energiespeicher, d.h. die Glykogenspeicher, möglichst rasch mit Kohlenhydraten wieder auffüllen. Aber auch von der Bausubstanz wird beim Marathon einiges zerstört. Deshalb müssen Sie Ihren Körper auch mit hochwertigen Baumaterialien zur Reparatur versorgen. Nach dem Marathon sollten Sie also auch Eiweiß, bzw. Aminosäuren zuführen. Ganz allgemein sollten Sie in den ersten Tagen nach dem Marathon viel essen, viel trinken und viel schlafen, damit sich der Körper wieder schnell erfangen kann.

Soll man nun gar nicht laufen?

Ich glaube, an den ersten drei bis fünf Tagen nach einem Marathon hat das Laufen gar keinen Sinn. Wenn Sie wirklich an die Grenze gegangen sind, dann haben Sie ohnehin so einen Muskelkater, dass Sie mit weiterem Laufen eher mehr zerstören als verbessern. Das Herz-Kreislaufsystem sollte aber durch leichte Aktivität etwas angekurbelt werden. Gehen Sie (locker) schwimmen, Rad fahren, Inline-Skaten oder machen Sie Spaziergänge durch die schöne Natur bei feinem Frühlingswetter. Als erste Laufeinheit genügt ein halbstündiger ganz lockerer Dauerlauf. Beobachten Sie Ihren Puls! Wenn der Ruhepuls und der Puls beim gemütlichen Dauerlauf noch deutlich erhöht sind, ist das ein untrügliches Signal dafür, dass der Körper noch mit Reparaturmaßnahmen ausgelastet ist. Solange das zu bemerken ist, würde jegliche Belastung die Erholung nur weiter verzögern.

Sie können am Tag nach dem Marathon übrigens ein Blutbild machen lassen, damit Sie die Auswirkungen schwarz auf weiß sehen. Der Kreatinkinase (CK)-Wert zeigt, wie viel an muskulärer Zellsubstanz zugrunde gegangen ist. Beim gesunden Menschen in Ruhe liegt dieser Wert unter 150, im „normalen“ Training vielleicht bis 300 nach Belastungen. Nach einem Marathon können hingegen Werte von 3000 oder 4000 gemessen werden, also der 20- oder 30-fache Normalwert! Sagen Sie im Labor aber unbedingt dazu, dass Sie einen Marathon gelaufen sind, sonst kann es Ihnen wie einer österreichischen Spitzenläuferin ergehen, die nach der Auswertung am Nachmittag vom Labor die telefonische Nachricht bekam, dass Sie sich möglichst schnell ins Spital begeben möge, weil akuter Herzinfarkt-Verdacht bestünde. Beim Herzinfarkt zeigt eben dieser Wert auch an, dass viele Zellen zugrunde gegangen sind, weshalb auch oft zwischen dem CK-NAC und dem CK-MB Wert unterschieden wird. Am Harnstoff-Wert im Blut erkennen Sie, wie sehr das Eiweiß als Energieträger herangezogen wurde (weil keine Kohlenhydrate mehr da waren), da Harnstoff das Stoffwechsel-Endprodukt des Eiweißstoffwechsels ist. Bei einer starken Erhöhung sollten Sie massiv Kohlenhydrate schaufeln, damit der Körper nicht weiter seine eigene Muskulatur auffrisst.
Konkret könnte das Wiederherstellungstraining in den ersten vier Wochen nach dem Marathon folgendermaßen aussehen:


Woche 1:

1 x Rad fahren (max. 120 min), 1 x schwimmen, 1 -2 x locker laufen

zusätzlich: viel essen, trinken, schlafen und auch passive Regenerationsmaßnahmen (Massage, Physiotherapie, …), Puls beobachten, wenn kein Muskelkater mehr: dehnen, aber kein Krafttraining

Woche 2:

Lauftraining: ein Drittel bis Hälfte vom gewohnten Umfang (alles mit geringer Intensität), Dauerläufe max. 90 min, ergänzen/ersetzen durch alternatives Ausdauertraining, kein Krafttraining

Zusätzlich: sicherheitshalber abwiegen (jetzt nimmt man sehr leicht zu), Puls beobachten

Woche 3:

Lauftraining: nicht mehr als die Hälfte des gewohnten Umfanges, evtl. mit einem Fahrtspiel testen, wie sich die Muskulatur bei höherem Tempo (keine Belastung!) anfühlt, ergänzen durch leichtes koordinatives Training (Lauf ABC, lockere Steigerungsläufe)
Zusätzlich: Alternatives Ausdauertraining und regenerative Maßnahmen nach Möglichkeit

Woche 4:
Wenn subjektiv (Gefühl) und objektiv (Puls, …) wieder ganz fit, dann kann am Ende der 4. Woche wieder ein wenig wichtiger Wettkampf (max. Halbmarathon) bestritten werden, davor ist aber noch keine Belastung notwendig. Dieser Wettkampf kann gleichzeitig eine Testfunktion über das Ausmaß der Wiederherstellung darstellen.


Übrigens: Spitzenläufer bestreiten üblicherweise zwei oder maximal drei Marathonläufe pro Jahr. Man kann natürlich auch mehr Läufe mit sightseeing-Charakter durchführen, dann darf man sich aber nicht immer wieder neue Bestzeiten erwarten.

Anm: diesen Beitrag hab ich in ähnlicher Form vor ein paar Jahren für das Laufsport-Magazin geschrieben.


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Blog Wilhelm Lilge

Staatlich geprüfter Trainer und Diplomtrainer, Lauftrainer, Leistungsdiagnostiker und einer der führenden Ausdauertrainingsexperten in Österreich. http://team2012.at

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