Bitter Sweet Symphony im ATX. Im Vorjahr Moll, heuer Dur gegen den Willen der Politik (Christian Drastil)

"Der ATX hat ein Jahr in Moll hinter sich. Für 2015 wollen wir einmal an eine positive Überraschung glauben. Was dafür passieren muss, liest man in einem Bericht von CD-Autoren für Global View."
 
Das habe ich vor zwei Monaten geschrieben. Als Einleitung zu einem Text  „inspired by Inode-Gründer und CD-Blogger-Kollege Michael Gredenberg 

für das Magazin Global View. Global View wird vom überparteilichen Akademischen Forum für Außenpolitik (AFA) gemeinsam mit der Mutterorganisation der von Wolfgang Schüssel geleiteten, überparteilichen Österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik und die Vereinten Nationen (ÖGAVN), deren Vizepräsident u.a Alexander Van der Bellen ist, herausgegeben. Global View erscheint 4 Mal jährlich; zu den Lesern zählen Mitarbeiter von Ministerien, der Bundesregie- rung, dem Parlament, Univer-sitäten, der UNO sowie alle österreichischen Botschaften/ Vertretungen im Ausland und alle ausländischen Botschaften/ Vertretungen in Wien. 

Momentan passt die Entwicklung, 14 Prozent Plus seit Jahresbeginn. Die Probleme sind aber längst nicht gelöst.

 
"Bitter Sweet Symphony
 
"Mitte Dezember, zu Redaktionsschluss für diesen Beitrag, lag der Wiener Leitindex ATX in der Sicht seit Jahresbeginn 2014 um satte 16 Prozent im Minus, während andere Märkte ebensoviel im Plus und nahe ihrer All-time-highs notierten. Ob 2015 besser wird, steht in den Sternen. Aber wollen wir mal an eine positive Überraschung glauben. Was dafür passieren müsste, lesen Sie hier.
 
Ja, die Handelsumsätze sind im Vergleich mit den Vorjahren wieder angestiegen, die Spitzenwerte aus dem vorigen Jahrzehnt liegen allerdings beim mehr als Dreifachen aktueller Volumina. Und auch sonst gibt es über den Wiener Aktienmarkt nicht viel Positives zu sagen, was nicht an der Wiener Börse selbst liegt, sondern am Umfeld in einem Land, in dem über Aktienanlagen einfach nicht mehr ausreichend differenziert berichtet wird; wenn Staatsfunk und Ökonomen wie selbstverständlich sagen, mit Aktien könne man nichts verdienen, wird es gefährlich. Zudem fehlt bei vielen börsenotierten Gesellschaften einfach das klare Commitment zum Kapitalmarkt.
Man hat etwa den Eindruck, dass die Banken vor lauter Stresstests, schlechter Presse, böser Nachrede durch die Politik, eigenen Verlusten, Bankensteuern schon ein wenig pfeifdrauf sind. Dazu die staatsnahen Unternehmen, da wird in den Vorstandsetagen teilweise gestritten, dass man glaubt, man ist einem Chatroom von Pubertierenden. Und irgendwann dringt das dann alles doch an die Öffentlichkeit, und man ist einfach nur ohnmächtig, wenn man erfährt, was da seit Monaten hinter den Kulissen offenbar abgegangen ist und noch abgeht. Anders läuft es bei unternehmergeführten Betrieben; hier haben etwa Porr (bereits zum Grossteil erfolgt) und KTM (angekündigt) die Börsepräsenz markant aufgewertet. Die beiden sind auch Top-Performer 2014, während grosskapitalisierte Werte wie z.B. OMV oder RBI einen halben Monat vor Jahresende um mehr als 40 (!) Prozent tiefer lagen als zu Beginn 2014. Freilich spielt bei letztgenannten Unternehmen eine hohe Russ-land-Tangente in die Performance hinein, aber das ist nur eine Facette. Viele Probleme sind hausgemacht; darauf jetzt detailliert einzugehen, würde den Rahmen sprengen. Dazu kommt, dass Österreich bei der Aktionärsquote Schlusslicht ist, die Privatanleger in Scharen davongelaufen sind, nicht zuletzt aufgrund einer im internationalen Vergleich höchst unfreundlichen Besteuerung, Stichwort „kein Verlustvortrag“. Nimmt man das eingangs erwähnte Bashing durch die Politik (frühe Grosse Koalitionen agierten hier viel vernünftiger) dazu, wundert es mich nicht, dass just ein Bericht mit dem Titel „Die eingeimpfte Aktienwut der Österreicher“ (http://bit.ly/1tPzUfz ) der überlegene Nr. 1-Artikel 2014 auf unseren Plattformen wurde. Da gabs viel Applaus von hohen Stellen, es wurde massiv geteilt, passiert ist nichts. Wer soll auch gross reagieren? Das Büro des Kapitalmarktbeauftragten der Bundesregierung wurde 2014 abgeschafft. 
 

Nicht im Programm

Weiters sehr gut funktionieren analytische Blog-Beiträge über das Kapitalmarktgeschehen, denn die grossen Medien – selbst Tageszeitungen, Wochen- oder Monatsmagazine mit Wirtschaftsbezug – liefern fast gar nichts mehr zur Wiener Börse. Es geht nicht um Qualität, es wird einfach nichts mehr geschrieben; das Thema ist in Wien nicht „in“. Da ist Platz für Quereinsteiger wie Michael Gredenberg – der Gründer von Inode ist heute u.a. begeisterter und detailverliebter Börseblogger, vgl. http://bit.ly/16hJeE3, ein Artikel von ihm. Für diesen Beitrag hier hat er sich den Wiener Aktienmarkt penibel und Titel für Titel angesehen. Die analytische Herausforderung lautete: Ist der ATX nach den heftigen Verlusten nun billig geworden?
Gredenberg hat sich dabei zunächst die Zusammenstellung des ATX genauer angesehen. Der Index besteht vereinfacht ausgedrückt aus den 20 größten bzw. an der Börse umsatz-stärksten Firmen an der Wiener Börse. Er wird regelmässig vom ATX-Komitee überprüft. Auffallend ist hier eine sehr starke Gewichtung von Banken, Versicherungen und Immobilien-Firmen. Auch die Industrie ist stark vertreten: Finanzen und Immobilien machen zusammen fast 50% des ATX aus, gemeinsam mit der Industrie sind es mehr als drei Viertel (76,21%). „Der ATX ist also nicht wirklich diversifiziert, sondern birgt einige Klumpenrisiken – so sind z.B. einige Branchen, die für Stabilität oder Wachstum sorgen, überhaupt nicht vertreten”, so Gredenberg der in diesem Zusammenhang z.B. Konsumgüter, Verbrauchsgüter oder Technologie anführt. 
Nun zu den Einzeltiteln: Bereits der grösste ATX-Wert – die Erste Group – schneide im Vergleich zur Peergroup eher unterdurchschnittlich ab. Das durchschnittliche Kurs/Buchwert-Verhältnis des Bankensektors ist derzeit etwa bei 0,88 (Quelle: Bloomberg: Kurs-Buchwert-Verhältnis der 15 nach Marktkapitalisierung weltweit größten börsenotierten Banken), das KBV der Erstebank ist bei 0,91. RBI wiederum sei hohe Risiken in Osteuropa (auch in der Ukraine) eingegangen. 
Die Immobilien-Unternehmen Immofinanz, Buwog, CA-Immo und conwert liefern als Quintessenz des Vergleichs, dass der eine oder andere höhere Zinsen für das Fremdkapital bezahlen müsse, als er operativ verdient, also die Gesamtkapitalrendite niedriger als die Fremdkapitalzinsen sind. Eventuelle Zinssteigerungen würde für solche Unternehmen ein zusätzliches Risiko darstellen. 
Allerdings: Vom KBV her seien die österreichischen Immobilien-Aktien im weltweiten Vergleich sehr günstig, beim KGV sehe es anders aus. In Summe keine Schnäppchen.
Die beiden Versicherungen im ATX, Vienna Insurance Group und Uniqa würden sich im internationalen Vergleich etwa im Mittelfeld bewegen, nach KBV wieder recht günstig, nach KGV nicht wirklich.
Drei Unternehmen würden positiv herausstechen: OMV, voestalpine und die Post.
Die OMV leide natürlich derzeit unter dem stark sinkenden Ölpreis, gehöre aber zu den weltweit günstigsten Ölfirmen.
Sieht man sich nun den ATX selbst im gängigen Vergleich mit DAX, Euro Stoxx 50, S&P 500, Nasdaq Composite, FTSE, Nikkei, Hang Seng, Micex, Bovespa, CSI 300 oder Africa Top40 an, so fällt auf, dass der ATX der einzige Index ist, bei dem die Verluste der enthaltenen Unternehmen die Gewinne überwiegen, sodass sich kein KGV errechnen lässt. Das ist ein dramatisches Signal. Trotzdem werden Dividenden bezahlt, der ATX liegt bei der Dividendenrendite im Mittelfeld. 

 

Nach KBV top

Beim KBV (Kurs-Buchwert-Verhältnis) ist der ATX beinahe der günstigste – nur der russische MICEX ist noch günstiger. Überhaupt wirkt der MICEX auf den ersten Blick am günstigsten unter allen. Das ist aber natürlich noch kein Grund, in Russland zu investieren, da wahrscheinlich jedem Leser die Umstände und Risiken bekannt sind: Ukraine-Krise, Sanktionen von Europa, etc. Russland ist derzeit ein sehr heisses Pflaster und deshalb so billig.
Insgesamt wirkt die Bewertung also auch nicht wirklich günstig. Ein niedriges KBV allein reicht nicht, wenn die enthaltenen Unternehmen keine Ertragstärke zeigen."


(21.02.2015)

Symphoniker Geige - http://www.martina-draper.at/tag/symphoniker#bild_17071, (© photaq)


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Christian Drastil
Der Namensgeber des Blogs. Ich funktioniere nach dem Motto "Trial, Error & Learning". Mehrjährige Business Pläne passen einfach nicht zu mir. Zu schnell (ver)ändert sich die Welt, in der wir leben. Damit bin ich wohl nicht konzernkompatibel sondern lieber ein alter Jungunternehmer. Ein lupenreiner Digital Immigrant ohne auch nur einen Funken Programmier-Know-How, aber - wie manche sagen - vielleicht mit einem ausgeprägten Gespür für Geschäftsmodelle, die funktionieren. Der Versuch, Finanzmedien mit Sport, Musik und schrägen Ideen positiv aufzuladen, um Financial Literacy für ein grosses Publikum spannend zu machen, steht im Mittelpunkt. Diese Dinge sind mein Berufsleben und ich arbeite gerne. Der Blog soll u.a. zeigen, wie alles zusammenhängt und welches Bigger Picture angestrebt wird.
Christian Drastil

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