AT&S-CEO Gerstenmayer stellt eine Forderung an die Politik und erklärt, wie gelistete Unternehmen auf eigene Kosten den Standort vermarkten (25 Jahre ATX)

About: Für die CD-Produktion http://www.boerse-social.com/25jahreatx wurden 33 Telefon-Interviews geführt. Hier täglich ein Interview transkribiert. Heute: Andreas Gerstenmayer, CEO AT&S. Wichtig: Diese Interviews wurden nicht für Print gemacht, die Transkripte sind ein Versuch. Die Audio-Version des Gerstenmayer-Interviews findet man unter: 25 Jahre ATX: AT&S seit 2008 wieder an der Wiener Börse zu finden - seit heute im ATXdas Set "Shirt und Doppel-CD" in der "Ich war dabei!"-Version hat am 9.3. das Funding-Ziel von 100 erreicht, es kann noch bis 14.4. bestellt werden (HIER die Namen der Besteller und die Details des Angebots). 

Frage (Peter Heinrich): Bitte um kurze Vorstellung.

Andreas Gerstenmayer: Andreas Gerstenmayer, Vorstandsvorsitzender der AT&S AG.
 
AT&S ist seit 2008 wieder an der Wiener Börse zu finden. AT&S war mal in Deutschland, 1999, im Neuen Markt in Frankfurt gestartet. War der Schritt von Frankfurt nach Wien zum Wechsel der richtige Schritt? Der Neue Markt war ja schon längst beerdigt.
 
Zum jeweiligen Zeitpunkt ist eine Entscheidung immer erstmal die richtige. Wir waren ja damals aufgrund der Strukturveränderungen an der Börse in Frankfurt in einer Situation, dass wir quasi in der Bedeutungslosigkeit versunken wären. Wir wären nicht in den TecDAX oder M-DAX aufgenommen worden und sicherlich war damals die Entscheidung, nach Wien zu gehen, eine der wenigen Möglichkeiten, die sich da überhaupt gestellt hat.
 
Jetzt wären Sie aber schon TecDax fähig von der Größe her. Warum diese Frage? Es gibt einen Anlass. Der ATX wird 25 Jahre. 2016 gibt es ein Jubiläum. Wie sehen Sie denn den Kapitalmarkt in Österreich generell?
 
Man muss den Kapitalmarkt von der Distanz betrachten, wie er sich international im Wettbewerb schlägt und da muss man einfach zur Kenntnis nehmen, dass die Performance für Markteilnehmer derzeit alles andere als zufriedenstellend ist. Das hat natürlich mehrere Gründe. Einerseits muss man feststellen, dass das politische Umfeld in Österreich sicher nicht das kapitalmarktfreundlichste ist, das man sich wünschen würde. Nur ein Stichwort, Transaktionssteuern, die ja ganz wesentlich auch vom österreichischen Finanzminister getrieben werden. Es ist auch so, dass seitens der Politik Aktienbesitz eher negativ interpretiert wird und auch entsprechend kommuniziert wird, was sich darin äußert, dass nur ca. 3% der Österreicher überhaupt direkt Aktien halten. Wenn man das mal mit Deutschland vergleicht, dort sind es immerhin 13%.
 
Hätten Sie ein Beispiel für diese Kommunikation? Was meinen Sie damit genau?
 
In einzelnen Zitaten geht es dann um Zockermentalität und all diese Dinge. Also wenn man immer von politischer Seite und sogar von Regierungsseite Aktienhandel mit Zockermentalität vergleicht, glaube ich nicht, dass das ein positives Bild entwickelt. Und wir sehen natürlich, dass der Börsevorstand sehr viel tut, vielleicht hätte man in der Vergangenheit, was Internationalisierung anbelangt, mehr hätte tun können, aber natürlich auch in dem Umfeld ist es sehr schwer, weil viele Aktivitäten da auch einfach verpuffen und wenig fruchtbarer Boden gestaltet wurde.
 
Was machen Sie jetzt als internationaler Konzern? Sie haben viel in China, ein neues Werk in Chongqing, Indien ... Sie brauchen da ja eine andere Ansprache für Kapital. Allein für das neue Werk in China investieren Sie mal schnell eine halbe Milliarde Euro. Wo finden Sie dann das Kapital?
 
Es gibt eine Investmentcommunity in Österreich, die muss man natürlich stark adressieren, aber grundsätzlich sind wir natürlich auf allen Märkten aktiv. Einerseits am Kernmarkt DACH, dann natürlich in dem sowieso elektronikaffinen Markt in Amerika. London und natürlich Asien sind Adressen, die wir intensiv bearbeiten und wenn die lokale Börse nicht die Performance bringt, muss man halt als Unternehmen mehr tun. Darüber hinaus beteiligen wir uns aber an einer Wirtschaftsinitiative in Österreich, die nennt sich 21st Austria, in der wesentliche Unternehmen und viele Hidden Champions aus Österreich quasi Standortmarketing in Amerika, Asien und in Großbritannien machen, auf eigene Kosten. Also auch kommt von Seiten der Regierung wenig Unterstützung.
 
Endlich mal ein Technologiekonzern, nicht nur Banken und Finanzindustrie an der Wiener Börse, sagte mir vor kurzem in einem Interview ein Analyst. Denn die echte Technologie ist wirklich selten an der Wiener Börse.
 
Das ist das nächste Thema, das uns natürlich schon Schwierigkeiten macht. Einerseits ist es der internationale Ruf des Kapitalmarkts, der auch immer wieder auch durch verschiedenste Vorkommnisse in der Immobilienindustrie usw geschädigt wurde, die niedrige Awareness in Amerika überhaupt über Österreich. Dort wird man ja durchaus mit Aussagen konfrontiert „Naja, Österreich ist ja eines der östeuropäischen Entwicklungsländer“.
 
Echt? Wer macht das?
 
Das sind durchaus Investoren aus Amerika. Solche Aussagen bekommt man auf Roadshows und dann kann man natürlich entsprechend erklärend wirken, aber man sieht, welches internationale Bild geprägt wurde über Jahre oder eben nicht geprägt wurde.
 
Es war natürlich auch eine Chance, sich als Osteuropabörse zu labeln.
 
Ja das war eine kurze Zeit so, solange die CEE-Fantasie funktioniert hat, aber die Geschichte ist ja weitestgehend auch vorüber. Einerseits, weil die Wirtschaft dort auch nicht mehr so performt, wie man es sich anfänglich überlegt hat und zweitens, dass ja dieses Sprungbrett oder dieses Gateway nach Osteuropa ja eigentlich nicht mehr notwendig ist. Osteuropäische Länder attraktivieren inzwischen Eigeninvestitionen, die brauchen den Standort Österreich in der alten Form nicht mehr wieder. Und was für uns natürlich ein Thema ist, ist Technologie, Sie haben es gesagt, der eine oder andere Investor freut sich. Es ist natürlich schon eine große Herausforderung, weil es weder für Investoren noch für Analysten entsprechende Peer Groups gibt. Wir haben zu 95 Prozent asiatische Wettbewerber und da tut sich einfach die Investmentcommunity immer schwer, uns mit entsprechenden Peers bezüglich unserer Performance zu vergleichen.
 
Sie sprachen davon, dass Sie selber Marketing machen in Sachen Technik in Österreich. Was ist denn die Erlebniswelt Wirtschaft AT&S?
 
Da gibt es in der Steiermark eine Initiative, dass man für die breite Bevölkerung Industrieunternehmen, Wirtschaftsunternehmen öffnet, um einfach mehr Verständnis zu erzeugen, Awareness zu schaffen, was leisten Unternehmen, weg vom dreckigen, rauchenden Schornstein, hin zu high tech Anmutung der Unternehmen, um einfach auch junge Leute zu begeistern, die Bevölkerung zu begeistern, was eigentlich alles an Leistung in den Wirtschaftsunternehmen erbracht wird. Da öffnen wir die Türen und zeigen in Führungen, in Videos und allen möglichen Kommunikationsmaßnahmen, welche Möglichkeiten sich in einem modernen Industrieumfeld ergeben.
 
Das heißt, Sie müssen doppelt Marketing betreiben, in Österreich und natürlich auch international. Wie viel der AT&S Produkte und Leiterplatten werden denn nicht in Österreich, sondern in Indien und China produziert?
 
Unsere Produktion in Asien ist Größe 80 Prozent inzwischen.
 
Wie oft sind Sie persönlich dann eigentlich in China? Wie oft müssen Sie da hinreisen?
 
Regelmäßig, ich habe letztens Mal zusammengezählt, im letzten Jahr waren es so irgendwas um die 25-30 Tage, die ich in Asien verbracht habe.
 
China macht jetzt zu Jahresbeginn 2016 so ein bisschen die Börsen verrückt bei uns. Sehen Sie dort eine Wirtschaftsdelle?
 
Das lässt sich noch nicht abschätzen, was es jetzt wirklich heißt. Momentan spüren wir an der Stelle noch keinen wesentlichen Effekt. Die Frage ist, kommt es wirklich zu einer Abschwächung des Konsummarktes, wird wirklich mehr gespart, können sich Leute weniger leisten oder gelingt China wirklich jetzt der Wandel von einer sehr stark produzierenden, exportorientierten Nation hin zu einer selbstinduzierten Kaufkraft aus eigener Kraft heraus, weil genau in dem Prozess steckt das Land ja. Ich bin da relativ zuversichtlich, dass das gelingen wird. Was wir jetzt sehen ist meiner Meinung nach eine gewisse Volatilität in dieser Transformationsphase, aber ich gehe davon aus, dass sich das mittel- und langfristig wieder stabilisiert und alleine die mehr als 1,3 Milliarden Menschen einfach da entsprechend Kaufkraft entwickeln werden.
 
Nochmal zum Abschluss zurück zum ATX. 25jähriges Jubiläum, damit der ATX vielleicht das 50jährige feiert, was wären denn Ihre Forderungen, Ihre Hausaufgaben an die Wiener Börse, damit das auch wirklich klappt?
 
Zuerst einmal muss man die Forderung an die österreichische Politik stellen, ein kapitalmarktfreundliches Umfeld zu schaffen, den Kapitalmarkt als das zu akzeptieren, was er ist, nämlich als Möglichkeit, Unternehmen sich Finanzierungen neben den Bankenfinanzierungen zu beschaffen um zu wachsen, sich zu entwickeln und international wettbewerbsfähig zu sein. Das ist glaube ich einmal der wichtigste Teil, dort die entsprechenden Rahmenbedingungen, Gesetze und auch die notwendige Stimmung auch dafür zu entwickeln. Die Börse selbst muss meiner Meinung nach internationaler werden, sie muss noch stärker internationale Kooperationen eingehen. Da ist einiges passiert, aber es reicht einfach noch nicht und letztendlich muss intensiv darum gerungen werden, ausländische, internationale, institutionelle Investoren wieder nach Österreich zu holen.

 



(21.03.2016)

Andreas Gerstenmayer, CEO AT&S, für http://www.youtube.com/watch?v=U7RYsZknmeg


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25 Jahre ATX

Rund um "25 Jahre ATX" haben wir im Dezember 2015 und Jänner 2016 eine grossangelegte Audioproduktion mit dem Ziel einer Fest-CD gemacht. Infos unter http://www.boerse-social.com/... . Hier täglich ein Interview transkribiert. Wichtig: Diese Interviews wurden nicht für Print gemacht.

>> http://boerse-social.com/25jahreatx


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