Begriffe über Begriffe (Daniel Koinegg)

Ich bin am Wochenende gewissermaßen in eine kleine Auseinandersetzung über Begriffe und deren Definitionen geschlittert. Michael C. Kissig von iNTELLiGENT iNVESTiEREN ist unter die Amazon-Käufer gegangen und zwar genauer gesagt unter die Käufer der Aktie. Anschließend an diese Veröffentlichung hat sich eine äußerst interessante Diskussion über den Kauf und die dahinterstehende Anlagephilosophie ergeben. Diese Entwicklung hat mich zu dem heutigen Artikel inspiriert, in dem ich selbst über verschiedene Anlagestile, Begriffsdefinitionen und damit zusammenhängende Implikationen nachdenken möchte. Die hier besprochenen Ansätze bauen teils auf bekanntem Material auf, bilden teils aber auch einen eigenen Blickwinkel.

Um welche Begriffe geht es?

Wenn ich Anlagestile meine, so sind für mich drei grobe Kategorien denkbar:

  • Kurs- bzw. preisbezogene Strategien
  • Passive indexbezogene Strategien
  • Aktive unternehmensbezogene Strategien

Kurs- bzw. preisbezogene Strategien sind solche Ansätze, bei denen Handelsentscheidungen aufgrund von Kursentwicklungen in der Vergangenheit und/oder erwarteten Kursentwicklungen in der Zukunft getroffen werden. Unterbegriffe und Synonyme für diese Anlagekategorie sind Charttechnik in verschiedenen Ausprägungen, Momentum-Trading und so weiter.

Passive indexbezogene Strategien zielen darauf ab, ein möglichst breit gestreutes Portfolio, im Idealfall den gesamten Aktienmarkt zu erwerben und durch langfristiges, kostenbewusstes „buy and hold“ oder durch „buy and build“ nach dem „cost averaging“-Prinzip an seiner Wertentwicklung und den Dividenden zu partizipieren. Die Auseinandersetzung mit Einzeltiteln wird hier bewusst ausgeschlossen.

Aktive unternehmensbezogene Strategien sind für mich grob zusammengefasst all jene Ansätze, bei denen Einzeltitel im Mittelpunkt stehen – genauer gesagt die Unternehmen, die hinter diesen Einzeltiteln stehen. Ein Synonym dafür ist der Begriff „stock picking“, also die Auswahl von Einzeltiteln nach bestimmten Kriterien, deren Vorliegen einen Mehrwert gegenüber passiven Strategien erhoffen lassen. In den allermeisten Fällen sollte so ein Mehrwert eine höhere Performance als eine benchmark sein. Es ist aber meines Erachtens, zumindest wenn man eine utilitaristische Sichtweise zu Grunde legt, auch nichts gegen das Betreiben von „stock picking“ zu sagen, wenn man dabei Spaß hat und wenigstens kein Geld verbrennt.

In der weiteren Diskussion schließe ich rein kursbezogene Strategien und passive indexbezogene Ansätze von Vornherein aus. Ich will nicht über Sinn oder Unsinn dieser Strategien räsonieren, weil sie nicht zu meinem circle of competence gehören und ich deshalb nichts Wertvolles in dieser Instanz beitragen könnte. Dieser Ausschluss soll kein Urteil über deren Funktionstüchtigkeit bilden. Ich kenne mich einfach nicht damit aus.

Aktive unternehmensbezogene Strategien

Viele verschiedene aktive Strategien lassen sich unter diesem Dach subsumieren. Im digitalen Mikrokosmos tummeln sich hier die unterschiedlichsten Begrifflichkeiten. Aus meiner Sicht sind die bedeutendsten unter ihnen aber die folgenden drei termini. Ich stütze mich definitionsseitig hier vorerst ganz frech auf die zugehörigen Wikipedia-Artikel, möchte aber nicht zu weit ausholen.

Value Investing

Der Value Investor sucht Aktien, die unterbewertet sind. Es wird ein innerer Wert für ein Unternehmen ermittelt und dann gekauft, wenn der Preis um eine bestimmte Spanne, die sogenannte margin of safety, unter diesem inneren Wert liegt.

Growth Investing

Hier fokussiert man sich hauptsächlich auf die Wachstumsperspektiven eines Unternehmens und/oder einer bestimmten Branche. Man möchte Unternehmen, die in Zukunft ein herausragendes Wachstum aufweisen werden, kaufen und so lange wie möglich halten. Es wird darauf geachtet, für diese Wachstumsperspektiven nicht zu viel zu bezahlen.

Quality Investing

Diese Schule stützt sich auf die Auswahl von Investitionsobjekten aufgrund verschiedener qualitativer Merkmale. Es wird besonders auf die Wettbewerbssituation, auf die Finanzkraft, auf die Margen und so weiter geachtet, aber auch auf den Preis.

Implikationen

Wenn man sich mit diesen Begriffen auseinandersetzt, fallen zwei Dinge sofort auf. Erstens wird der Eindruck erweckt, dass es sich hier um scharf voneinander zu trennende Lager handelt. Auch die zitierten Wikipedia-Artikel nähren diesen Mythos, da begriffliche Abgrenzungen untereinander vorgenommen werden. Es wird dargelegt, wo sich Value und Growth voneinander unterscheiden und was wiederum diese beiden Lager vom Quality Investing separiert. Zweitens kommt bei allen Denkschulen der Preis in irgendeiner Art und Weise als Kriterium vor. Warum? Allen aktiven Strategien ist wie weiter oben erwähnt gemein, dass sie irgendeine Art Mehrwert generieren wollen. Ökonomisch definiert besteht dieser Mehrwert darin, dass man mit dem ausgewählten Einzeltitel risikoadjustiert mehr Rendite erwirtschaftet, als ein zum Vergleich herangezogener Maßstab. Diese Rendite ist eine unmittelbare Funktion des Preises, den man beim Kauf der Aktie bezahlt, und zwar in Relation zum Unternehmenswert des hinter der Aktie stehenden Unternehmens. Der Unternehmenswert setzt sich immer aus dem Wert der Substanz, aus dem Ertragswert und gegebenenfalls zusätzlichen Optionswerten, die ein Aktivist realisieren kann, zusammen. Diese Definition des Unternehmenswertes gilt freilich unabhängig von der gewählten Investmentstrategie.

Der Unterschied in den genannten Denkströmungen value, growth und quality investing scheint aber darin zu liegen, dass unterschiedliche Aspekte bei der Ermittlung des Unternehmenswerts verschieden gewichtet werden. Das macht aber keinen Sinn. Wie erwähnt setzt sich der Unternehmenswert immer aus allen Aspekten zusammen und kann gar nicht sinnvoll ermittelt werden, wenn man einzelne dieser Aspekte nicht oder nur untergeordnet beleuchtet. Ich weiß mittlerweile aus eigener Erfahrung nur zu gut, dass es zu kurz gedacht ist, nur den Substanzwert zu ermitteln, ohne sich über die Ertragssituation und vor allem deren Wachstumsrate Gedanken zu machen. Ein Unternehmen, das um den halben Substanzwert gekauft werden kann, ist kein gutes Investment, wenn es jährlich 20 Prozent dieses Substanzwertes verliert. Desweiteren ist es auch nicht zielführend, nur Qualitätsmerkmale wie eine gute Marktposition oder hohe Margen auszumachen, ohne sich zu überlegen, wie die Cashflows in Zukunft wachsen werden. Und schließlich muss man das Gesamtpaket dann zumindest irgendwie quantifizieren, um es einer Alternativrendite, die man am Markt erhält, gegenüber stellen zu können. Kurz zusammengefasst: aktives unternehmensbezogenes Investieren lässt sich völlig unabhängig von der gewählten Denkschule nicht betreiben, ohne das Unternehmen zu bewerten, weil sich sonst die erwartete Rendite nicht ermitteln ließe. Und diese Bewertung muss konsequenterweise alle erforderlichen Aspekte (Substanz, Wachstumschancen, Marktposition, Qualität des Managements) miteinbeziehen, ebenfalls völlig unabhängig von der gewählten Denkschule und immer gleich gewichtet. Ansonsten hätte das zur Konsequenz, dass je nach „gewählter Brille“ ein Unternehmen verschiedene Werte hätte. Schrödingers Katze hat am Aktienmarkt aber nun wirklich nichts verloren.

Diese Erkenntnis zeigt meines Erachtens sehr schön, dass die begriffliche Unterscheidung zwischen value, growth und quality obsolet ist, weil das Eine ohne das Andere nicht sein kann. Für mich bedeutet das, dass ich mein Selbstverständnis als Marktteilnehmer nach all diesen Jahren überdenken muss. Konsequenterweise ist es nach dieser Sicht nämlich redundant, sich als Value Investor zu bezeichnen.

Ich möchte mich noch einer weiteren Begrifflichkeit zuwenden, die einem in diesem Kontext immer wieder unterkommt. Sie steht stellvertretend für ein Missverständnis, das meines Erachtens ebenfalls auf den sehr stark simplifizierenden Buffett zurückgeht. Buffett spricht oftmals davon, einen „reasonable price“ bezahlen zu wollen, was sich am Besten mit sinnvoll oder angemessen übersetzen ließe. Vielerorts wird diese Aussage nun so gedeutet, dass man Unternehmen kaufen solle, die zwar herausragende Qualitätsmerkmale besitzen, die aber nicht unterbewertet seien oder dass man sich die Bewertung gar sparen könne. Ich halte das für einen Trugschluss. Wenn ein Unternehmen nicht unterbewertet ist, bedeutet das, dass es risikoadjustiert und unter Einbeziehung aller weiter oben genannten Aspekte die gleiche Rendite bringen sollte wie der breite Markt. Macht es dann Sinn, das Unternehmen zu kaufen? Zumindest aus ökonomischen Gesichtspunkten tut es das nicht.

Um zum Abschluss noch einmal auf den Begriff der risikoadjustierten Rendite zurückzukommen: Wenn man die sinnbefreite Mär von der Volatilität des Aktienkurses als Risikomaßstab beiseite lässt, zeigt sich übrigens, dass das Risiko ebenfalls ein qualitativer Begriff ist, der sich nicht exakt messen lässt. Man wird aber festhalten können, dass eine gewisse Abwägung anhand verschiedener Kriterien hier erhellend sein kann. Ein jährlicher Cashflow von x kann beispielsweise bei einem Unternehmen mit net cash als wertvoller betrachtet werden, als ein jährlicher Cashflow von x bei einem Unternehmen mit dem Zehnfachen von x als Schulden. Ebenso spielt für die Beurteilung des Risikos die Branche und deren Konjunkturabhängigkeit eine große Rolle.

So gesehen sind viele der Kriterien, die für Anhänger einer qualitätsorientierten Anlagephilosophie eine große Rolle spielen, schlichtweg Faktoren, die das Risiko des Einzelunternehmens beeinflussen. Ihr Vorliegen steigert den Barwert der zukünftigen Zahlungsüberschüsse, erlaubt aber nicht, dass man sich die Unternehmensbewertung spart.

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(02.02.2016)

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Daniel Koinegg

Der Praktikant.

>> http://www.bargain-investments.com


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