Die Perestroika des Kapitalismus, Episode 13: Der kapitalistische Regelkreis und die Macht des Verzinsungsdrucks (Klaus Woltron)


Die Stabilität unseres Geldsystems 
baut entscheidend auf dem Prinzip der Verzinsung, also einem Preis für das Kapital, auf: Geld muss dem Eigentümer, der es zur Verfügung stellt, eine bestimmte Rendite erbringen oder ein Minimum an Wachstum seines Besitzes eintragen, wenn er nicht langsam aus dem Kreis der Wirtschaftselemente verschwinden will: Hammer oder Amboss sein, lautet die Devise. Daraus ergibt sich, dass diesem Druck zu folgen eine ökonomisch  existentielle Notwendigkeit  ist.

Vereinfacht dargestellt, spielt sich der Aufbau konstanten Drucks auf die Verzinsung des(eigenen oder geborgten) Kapitals in folgendem kybernetischen Karussell ab (s. Abb.) : Investoren – heute nicht nur Unternehmer, sondern immer öfter angestellte Manager, die gewaltige Summen anvertrauten Geldes für uns alle verwalten und unter großem Erfolgsdruck stehen– investieren dieses Geld in Unternehmungen, die ihnen profitabel erscheinen.Auf diese lastet nun die Verpflichtung, an der Börse entsprechend zu reüssieren,und die überträgt sich auf den subalternsten Mitarbeiter, auf alle Bereiche der Firma mit den entsprechenden Konsequenzen. Entspricht das Ergebnis der Veranlagung nicht den Erwartungen, so werden die Anteile alsbald auf den Markt geworfen und das dafür lukrierte Kapital anderswo, in der Hoffnung auf bessere Ergebnisse, investiert. Alle Hindernisse, die sich einer maximalen Verzinsungentgegenstellen, wie zum Beispiel ungenügender Geschäftserfolg oder eine Branchenkrise, aber auch andere Faktoren, wie überdurchschnittliche Sozialleistungen, ökologische Auflagen, Spekulationshemmnisse etc. – werden als Störgrößen im kybernetischen Sinne aufgefasst und möglichst eliminiert bzw.umgangen. 

Im Zuge der Entwicklung des Systems zu immer komplizierteren Abläufen, die zunehmend an Vorgänge in einem Casino gemahnen, hat sich die Finanzwirtschaft, soweit sie das Börsegeschehen betrifft, von der Realwirtschaft fast vollkommen abgekoppelt. Börsenkurse werden in zunehmendem Maße nicht mehr von der wirklichen Situation in einer Firma, von deren Profitabilität und Zukunftsperspektive bestimmt, sondern von Manipulationen von Spekulanten, die auf sinkende oder steigende Kurse wetten und ihre Veranlagungen in Sekundenschnelle umdisponieren. 

Das reale Wirtschaftsgeschehen hat auf jenes an den Börsen nur geringe Auswirkung. Leider sind die Konsequenzen im umgekehrten Falle wesentlich stärker und deplorabler. 

 

Profiteure und Verlierer

 

Hierzu ist noch eine pikante Bemerkung fällig. Die Investoren und Nutzer der Börse lassen sich, grob gesprochen, in zwei große Klassen einteilen. Einige hundert große Spieler (Investmentfonds, Großbanken etc.), die gewaltige eingesammelte Summen verwalten, stehen Millionen kleinen und kleinsten Aktienbesitzern gegenüber. Den Großen stehen ausgefeilte Instrumente zur Beobachtung von Markttendenzen und längerfristigen Entwicklungen zur Verfügung. Sie nutzen – trotz Verbots – regelmäßig Insiderinformationen von Mitarbeitern  großer Konzerne, Banken und aus politischen Kreisen und sind daher in der Lage, viele Dispositionen rechtzeitig und vor anderen zu treffen und damit ihr Kapital an die richtigen Stellen zu schleusen. Zusätzlich vermögen sie noch durch gezielte Informationen den Markt und damit die Kapitalflüsse in ihrem Sinne zu beeinflussen. 

Die vielen kleinen Spieler hingegen verfügen über keines dieser Instrumente. Sie sind darüberhinaus noch den manipulativen Nachrichten der Großen und – wie die Subprime-Krise und manche Vorkommnisse im Zuge der Meinl-Transaktionen schlüssig beweisen – auch irreführenden Aussagen und Gutachten von sogenannten Rating-Agenturen[i] oder neutralen Analysten mit versteckten Eigeninteressen  ausgesetzt. Diese Ungleichheit der Waffen führt dazu, dass im großen Durchschnitt die großen Spieler jeweils auf Kostender zahllosen kleinen Investoren an der Börse im Vorteil sind. 

 

Die Macht des Verzinsungsdrucks

 

Der herrschende Verzinsungsdruck ist der verlängerte Arm, also ein höchst wirksames Werkzeug des Kapitaleigners, der allerdings auch auf ihn selbst zurückwirkt. Es ist dabei allerdings keineswegs gleichgültig, ob dieser als Person, ausgestattet mit einem ganzheitlichen moralischen Instrumentarium,  auftritt, oder als anonymer Sachwalter fremden Geldes (z. B. Fondsmanager oder angestellter Vermögensverwalter) agiert. Während der direkte Anleger eigenen Geldes durchaus auch andere als rein gewinnorientierte Motive in seine Dispositionen einbringen kann, sind beauftragte Manager durch ihre Position und Dienstverpflichtung dazu verhalten, ausschließlich auf Rendite zu achten und alle anderen Faktoren als störend bzw. irrelevant einzuordnen. Im Wesentlichen führt erst die Anonymisierung des Kapitals dazu, dass Zug um Zug eine ganzheitliche, auch langfristige soziale und ökologische Faktoren einschließende Allokation und Gestionierung verloren gehen. Je weiter die Möglichkeit der Disposition vom Einzelmenschen abgekoppelt wird, desto stärker steht die Verzinsung im Mittelpunkt. Ihren Höhepunkt erreicht diese Gesetzmäßigkeit dann, wenn die Veranlagung der Mittel fest programmierten Computersystemen anvertraut wird, welche die Allokation  weltweit fast mit Lichtgeschwindigkeit besorgen. Erst in den letzen Jahrzehnten hat sich ein Trend zur sozial und ökologisch verantwortlichen, wieder mehr ganzheitlichen Nutzung des Kapitals durch die Bildung von Fonds mit entsprechenden Anlagerichtlinien entwickelt. Diese geben dem Kapitaleigner, welcher sein Geld nicht selbst verwalten kann oder will, die Möglichkeit, es dennoch seinen moralischen und ökonomischen Vorstellungen einigermaßen entsprechend investieren zu lassen. 

Eine derartige ganzheitliche Unternehmensführung setzt allerdings voraus, dass auch die anonymen Eigentümer mit dem Sustainable Corporate Management[ii] ausdrücklich einverstanden sind und dies in den Grundsätzen der Firma festschreiben. Andernfalls gerät das Management unweigerlich in unlösbare Zielkonflikte und wird seine Position nur allzu schnell wieder einbüßen. 

 

 Firmenschädigendes Kapital?

 

Ursprünglich waren Aktien, Börse und die damit verbundenen Mechanismen zum Wohle der Gesellschaften – Aufbringung von Kapital für Investitionen, Wachstum und Markteroberung – gedacht. Durch die zunehmende Entfernung des Aktionärs von seinem Investitionsobjekt, die Beschleunigung der Transaktionsprozesse und dem mehr und mehr spekulativen Charakter der Transaktionen richten sich diese Prozesse sehr oft gegen die Investitionsobjekte, die Firmen, selbst.  Da die Erträge aus Aktienbesitz in der Regelnur zu etwa 5 Prozent aus den von den Firmen ausgeschütteten Gewinnen(Dividenden an die Aktionäre), zu 95 Prozent aber aus Transaktions (Kurs) -gewinnen bestehen, ist der anonyme Aktionär naturgemäß hauptsächlich an Letzteren interessiert. Dies kann dazu führen, dass die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft, die von einigen wenigen Aktionärsgruppen beherrscht wird, Aufsichtsrat und Vorstand im Sinne schneller, kurzfristiger Gewinnausschüttung und damit besonders guter Nachrichten beeinflusst. Dies geschieht dann aber auf Kosten wichtiger langfristiger Faktoren, wie Forschung und Entwicklung, qualitativen Personalaufbaus und der Erneuerung des Anlagevermögens. Wenn sich diese Effekte dann später nachteilig auf die Gesellschaft auszuwirken beginnen, haben die Investoren ihr Geschäft längst gemacht und sind weitergezogen.  

 


[i]Ratingagenturen  bewerten die Kreditwürdigkeit(Bonität) von Unternehmen und Ländern durch eine Buchstabenkombination (Ratingcode),die in der Regel von AAA bzw. Aaa (beste Qualität) bis D (zahlungsunfähig)reicht. Ratingagenturen sind private und ausschließlich gewinnorientierteUnternehmen.

 

[ii] Managementstil, der neben finanziellemErfolg auch das Wohl der Mitarbeiter und der Umwelt als weitere Ziele im Augebehält. 

(Die bisher veröffentlichten Episoden dieser Serie finden sich unter https://www.facebook.com/kwoltron/notesNächste Episode: Der Januskopf der Globalisierung



(09.02.2015)

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Klaus Woltron

ist ein österreichischer Unternehmer , Buchautor und Kolumnist. Er ist Gründungsmitglied des Club of Vienna und war aktives Mitglied bis zum April 2008. Hier berichtet er u.a. über "Die Perestroika des Kapitalismus".

>> https://www.woltron.com/


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