Eine Perestroika des Kapitalismus - Episode 1: Einleitung - Was ist Geld

Das liebe Geld

Einleitung: Was ist Geld?

Das Blut und derSauerstoff aller gesellschaftlichen Systeme ist das Geld. Denkt man über dessenFunktion und Eigenschaften etwas genauer nach, so wird man bald erkennen, dasses unterschiedlichen Zwecken dient, die einander manchmal sogar entgegenstehen.

Geld dient zum Erstenals allgemein anerkanntes Tauschmittel, es hat somit eineZahlungsmittelfunktion. Geld vereinfacht den Tausch von Gütern und die Aufnahmeund Tilgung von Schulden – ebenfalls als Zahlungsmittel. Geld ist in der Regelhaltbar und erfüllt so eine Funktion als Mittel zur  Speicherung von früher geschaffenem Wert.Insofern ist es auch in einem gewissen Sinn gespeicherte, gefrorene Macht. Geldist weiters Wertmaßstab und Recheneinheit, es dient als Vergleichsmaßstab fürdie Menge von Lohnarbeit, Waren und Dienstleistungen, die damit abgegoltenwerden kann. Es hat aber noch andere, komplexere und verborgene Eigenschaftenund Wirkungen.

Um als Laie dasheutige Geld- und Finanzsystem annähernd zu verstehen, ist es nützlich, sichmit der folgenden Parabel auseinanderzusetzen. 

Die Parabel vom Goldschmied[i]

Vor langer, langerZeit, als die Menschen hauptsächlich Ackerbau und Viehzucht betrieben, es vieleDörfer und noch kaum Städte gab und die Wirtschaftsleistung hauptsächlich vonHandwerkern und Bauern erbracht wurde, herrschte die Tauschwirtschaft. Späterlösten indirekte Wertträger, etwa Salz, Gewürze, Edelmetalle, Bronze-Geräte(Beile, Pfeilspitzen, Halsringe), Felle, Vieh (die lateinische Bezeichnungpecunia für Geld leitet sich von pecus, Vieh, ab), in einigen Regionen auchMuscheln bzw. Kauri-Schnecken oder sogar Frauen das reine Tauschwesen zum Teilab. Im weiteren Verlauf verwendete man auf Grund ihrer Haltbarkeit immerhäufiger Edelmetalle, vorzugsweise Gold, als Zahlungsmittel. Dadurch wurdenGold und Silber über Jahrhunderte auch zum Symbol des Reichtums − und zumObjekt zerstörerischer Gier. Um sich die Mühe des Wägens zu ersparen, schlugman daraus Münzen, deren Wert somit normiert wurde.

Zu jener Zeit  schaffte sich ein Goldschmied, in steterSorge um seine gesparten Münzen, einen Tresor an, um seinen Schatz vor demZugriff von Dieben und Plünderern zu schützen. Als die Bürger der Stadt  Kunde vom Tresor des Goldschmieds erlangten,wollten auch sie ihre Schätze in Sicherheit bringen. So vermietete derGoldschmied den Mitbürgern einen Teil seines Tresors gegen eine geringe Gebühr.

Um nicht stets dieschweren Münzen mit sich tragen zu müssen, wenn er zum Einkaufen ging, stellteder Goldschmied Leihzettel (eine Art Scheck, Bestätigungen, die man damitjederzeit bei ihm in Goldmünzen umtauschen konnte) aus. Da dieses Systemklaglos funktionierte, weil jeder, der einen solchen Leihzettel  in Gold umtauschen wollte, dieses auchanstandslos ausgefolgt erhielt, gewöhnte man sich in der Stadt daran, mit demGoldschmied Geschäfte zu machen. Die Leihzettel wurden auch für den Handel  mit Dritten verwendet und wechseltensolchermaßen oft den Besitzer, bevor sie beim Goldschmied wieder in bare Münzeeingetauscht wurden.

Nach einiger Zeit kamder Goldschmied angesichts der großen Nachfrage auf die Idee, sein eigenes Goldgegen eine Gebühr – Zinsen – zu verleihen. Nach einer Zeit der Gewöhnung tat erdasselbe auch mit den Leihscheinen auf sein Gold. Er wurde dadurch einer derreichsten Männer in der Stadt. Als wiederum einige Jahre verstrichen waren,begann er, auch das Gold seiner Mieter gegen Leihscheine zu verborgen, erntetedadurch einen hohen Zinsgewinn ein und wurde dadurch zum wirklich steinreichenMann. 

Dieser Reichtum weckteden Argwohn der Bürger. Sie rotteten sich zusammen, zogen vor das Tor desstattlichen Anwesens des Goldschmieds und verlangten lautstark, ihr Gold, dasdort verwahrt war, zu sehen. Sie vermuteten, dass es der Goldschmied veruntreuthätte. Gelassen öffnete der Goldschmied seinen Tresor und - siehe da, das ganzeGold war nach wie vor vorhanden. Beruhigt zogen die Bürger wieder ab. Da derGoldschmied fast ausschließlich Leihzettel ausgegeben hatte, die lediglich einAnrecht auf Auslösung des im Tresor liegenden Goldes verbürgten, war das Goldunangetastet geblieben. Der Goldschmied selbst aber war durch die Zinsen, dieer für die ausgegebene Leihzettel verlangt hatte und die in barer Münze zubezahlen waren, wie gesagt, steinreich geworden. 

Klüger geworden,verlangten die Anleger des Goldes nunmehr einen Anteil am Gewinn desGoldschmieds: Habenzinsen. Immer noch aber war die Differenz zwischen dem Zins,den der Goldschmied von seinen Schuldnern verlangte, und jenem, den er denEinlegern bezahlen musste, so groß, dass sein Reichtum ständig wuchs. Da die imUmlauf befindlichen Schuldscheine – Wechsel, Papiergeld, wie immer man sie auchnennen mag – der Menge an Gold im Tresor entsprach, war das System für alleTeilnehmer gerecht. Es bedurfte allerdings der ständigen Zufuhr neuen Goldes,um den Zuwachs an Schuldscheinen, der durch den Zins entstand, auszugleichen:Nur dann war es im Gleichgewicht. Die Menge an Gold bzw. der Schuldscheine, diees im Umlauf ersetzten, wuchs mit der Zunahme der tatsächlichenWarenwirtschaft. 

Das Wachstum dieserWarenwirtschaft nahm nicht zuletzt wegen der belebenden Wirkung des Geldumlaufsrasch und stetig zu. Es gab bald nicht mehr genug Nachschub an Gold, um denZuwachs an erforderlichem Geld zu decken. Die große Nachfrage und die damitverbundenen Gewinnchancen verleiteten den Goldschmied zu einer verhängnisvollenEntscheidung: Da niemand außer ihm genau wusste, wie viel Gold tatsächlich imTresor gestapelt lag, begann er, Schuldscheine für Gold, das gar nicht da war,zu verleihen. Seine Überlegung war die Folgende: Wenn nicht alle Einleger aufeinmal kämen, um ihr auf den Schuldscheinen verbrieftes Gold abzuholen, würdeniemand je den Schwindel entdecken. Er aber könnte für die ungedeckten Scheinewie für gedeckte Scheine Zinsen nehmen und geben. Sein Reichtum wuchs daraufhinins Unermessliche.

Nach einer gewissen Zeiterregten das Ausmaß der Kredite und der ungewöhnliche Reichtum desGoldschmieds, der mittlerweile zum Bankier geworden war, wiederum dieAufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Immer mehr Bürger verlangten für ihreSchuldscheine Gold, die Nervosität nahm zu, und plötzlich stellte sich heraus,dass nicht annähernd genug Gold im Tresor lag, um den Ansturm der besorgtenBesitzer des Papiergeldes zu befriedigen. Vor der Bank entstanden langeSchlangen aufgeregter Kunden. Man begann sich um die besten Plätze zu prügeln.Manche boten ihre Schuldscheine zum halben Preis gegen Gold feil, Panik brachaus. Der Goldschmied wurde festgenommen, vor ein Gericht gestellt und untergroßer Anteilnahme der Bürgerschaft hingerichtet. Es dauerte lange, bis sichdie zerrüttete Wirtschaft wieder erholte.

Die Wirtschaftverlangte aber bald wieder nach mehr Geld. Die Praxis, nur einen bestimmtenTeil des im Umlauf befindlichen Geldes durch Gold abzudecken, wurde legalisiertund strikter Kontrolle unterworfen. Das Verhältnis Papier:Gold wurde auf 9:1festgelegt und durch Stichproben kontrolliert. Eine Zentralbank sorgte dafür,dass die Banken untereinander Geld austauschen konnten, um es bei einem Ansturmauf eine einzelne Bank nicht zu deren Zusammenbruch kommen zu lassen. Nur bei einemgleichzeitigen Ansturm auf mehrere Banken konnte es geschehen, dass das Systemdennoch zusammenbrach – was im Zuge der Wirtschaftsgeschichte in etlichen  Ländern auch tatsächlich geschah.

Geld als Schuld

"That is what our money system is: If there were no debts in ourmoney system, there wouldn’t be any money."[ii]

Die Deckung des imUmlauf befindlichen Geldes – Banknoten, metallwertlose Münzen, Plastikkarten,elektronische Schuldverschreibungen und Guthaben – durch Gold ist mittlerweileauf praktisch Null gesunken. Es bleiben lediglich die Belege dafür, dass sichjemand irgendwo für eine Zahlung verpflichtet hat – entsprechend denursprünglichen Leihscheinen des Goldschmieds. Geld ist zur gehandelten Schuldgeworden. 

Die Reserven einerBank bestehen im Wesentlichen aus Bargeld und Schuldgeld (Einlagen,elektronisch oder mit Kontoführung auf dem Papier dokumentiert). Ein Eurorepräsentiert die Schuld irgendeines anonymen Schuldners an mich, die ichweiterverkaufen kann, indem ich diesen Euro ausgebe. Wir sind uns dieserparadoxen Tatsache allerdings selten bewusst. Man sollte doch annehmen, dassGeld einen positiven Wert repräsentiert, ein Äquivalent für dingliche Güter.Das ist auch der Fall – aber in umgekehrter Form, und nur so lange, als dieMehrzahl der Menschen daran glaubt, dass die Masse der anonymen Schuldnerbereit sein wird, ihre jeweilige Schuld anzuerkennen und sie zu begleichen.Sinkt diese Bereitschaft oder diese Fähigkeit und spricht sich das herum, kannes schnell zu massivem Zweifel am Wert des Geldes und den damit verbundenenErscheinungen wie Hyperinflation oder Bankenzusammenbrüchen kommen.

Heutzutage wird Geldvom Staat und den Banken als Schuld gleichsam aus dem Nichts geschaffen – etwawenn jemand einen Kredit bei einer Bank aufnimmt. Die Gesamtmenge an Geld wirdlediglich durch die Gesamtmenge an Verschuldung limitiert, deren Obergrenzewiederum der Staat willkürlich festlegt und reguliert.

Die ursprünglichvorhandenen Goldreserven der „Nationalbanken“ wurden ab den späten 90ern zum Teilverkauft, was sich aus dem Wandel des internationalen Währungssystems erklärt:1944 wurde mit dem Bretton-Woods-Systemein internationales, auf dem goldhinterlegten US-Dollarbasierendes Währungssystem geschaffen, das jedoch 1973 scheiterte, nachdem die US-Regierungin Folge des Vietnamkriegsinternationalzahlungsunfähig wurde und 1971 den Goldkernstandard endgültig aufgab. Seitdemsind goldbasierte Währungen die Ausnahme und haben nur theoretische Bedeutung,da der internationale Zahlungsausgleich heute durch die gegenseitige Auf- undAbwertung der Währungen am Devisenmarkt erfolgt. Bei stützenden Eingriffen derZentralbanken in den Markt wird dieser Ausgleich gestört, was vorübergehend zuHandelsbilanzdefiziten und -überschüssen führt.

Die Entstehung von neuem Geld

Nehmen wir an, in NewYork wird eine neue Bank gegründet. Eine Mindesteinlage von 1.111,11 $ wird beider Zentralbank erlegt. Das gesetzlich vorgeschriebene  Reserve-Verhältnis (das Verhältnis jenerSumme, die bei der Zentralbank zu hinterlegen ist, zu den gewährtenDarlehen)  beträgt 9:1. Es erscheint dererste Kreditnehmer und ersucht um Bewilligung eines Kredits von 10.000.- $, umsich ein gebrauchtes Auto zu kaufen. Das Verhältnis 9:1 erlaubt es der – nochwinzigen – Bank, dem Kunden diese 10.000.- $ zur Verfügung zu stellen. EinKonto über 10.000.- $ wird elektronisch eröffnet, es erschafft praktisch ausdem Nichts neues Geld. Der Kunde stellt einen Scheck auf 10.000.- $ aus undkauft das Auto. Der Autohändler löst diesen Scheck in bar bei seiner Bank einund zahlt diese Summe bei unserer Bank ein. Dadurch wird es dieser möglich,weitere 9000.- $ als Kredit zu vergeben. Dieser Mechanismus dreht sich, wenn ernicht durch irgendein außerordentliches Ereignis unterbrochen wird, in einerunendlichen fallenden Reihe weiter. Im Extremfall kann vermittels derErsteinlage von etwas über 1000 $ eine Summe von fast 100.000.- $"erschaffen" werden. Dennoch können alle involvierten Banken stetsnachweisen, dass sie um 10 % mehr Einlagen als Ausleihungen haben.

Daraus folgen zweiSchlüsse: Erstens stammen Kredite nur zu einem geringen Prozentsatz aus tatsächlichenEinlagen, d.h., Banken verleihen Geld, über das sie nur zu einem geringenUmfang tatsächlich verfügen. Zinsen verlangen sie für die gesamte Summe desverliehenen Geldes. Darüber hinaus wurden in den letzten Jahren dieMindesteinlagen-Prozentsätze bei den Zentralbanken in manchen Ländern auf 20:1,ja sogar auf 30:1 gesenkt, was den Kreislauf noch angeheizt hat. 

Es wird soviel Geld erschaffen, wie nachgefragt wird

"Jeder, derglaubt, exponentielles Wachstum könne in alle Ewigkeit fortschreiten, ist entwederein Irrer oder ein Ökonom.“[iii]

Das von denRegierungen bereitgestellte Geld macht in der Regel nicht mehr als etwa 5% derumlaufenden Geldmenge aus. Der Rest stammt von den Geschäftsbanken. Bankenerschaffen Geld aus Schulden. Ohne Schulden gäbe es kein Geld in der von unsgewohnten Art. Wir alle sind vollkommen abhängig davon, dass ständig neues Geldin Umlauf gebracht wird. Es wird jedoch nur das "Grundkapital"erschaffen. Woher kommt aber dann das Geld, das für die Zinsen gebraucht wird?Es existiert nicht. Insbesondere bei langfristigen Krediten (Hypotheken,Staatsanleihen etc.) macht die Zinssumme oft mehr als das Grundkapital aus. Umdieses ständig wachsende Loch zu stopfen, müssen ständig neue Schulden gemachtoder Werte durch Insolvenzen oder Zusammenbrüche ganzer Teile der Wirtschaftvernichtet werden – wie es im Herbst 2008 gerade in nie dagewesenen Ausmaß derFall war. Diese Entwicklung ist eine systemimmanente Komponente unsererGeldwirtschaft, nicht nur jener des Kapitalismus. Auch in den so genanntensozialistischen Staaten gab und gibt es das Prinzip des Zinses und die damitverbundenen treibenden Kräfte.

Dass dies nicht ewigso weitergehen kann und dass man das System auch nicht dazu nutzen wird können,um auf dem Planeten ein nachhaltiges Gleichgewicht herzustellen, istsonnenklar.

EinBlutkreislauf, der zu seiner Erhaltung nach exponentiellem Wachstum des ganzenOrganismus verlangt, wird einen Riesen heranzüchten, der alles und jedes inseiner Umgebung zertrampelt und seinem eigenen Riesenwuchs letztendlich zumOpfer fallen wir

[i] (frei nach Money as Debt --Geld als Schuld; Moonfire Studio / Lifeboat News -moneyasdebt.net; 2007

[ii](Marriner Stoddard Eccles (1890 – 1977); Banker und Chairman der Federal Reserve Board der USA unter F.D.Roosevelt in der Zeit der Großen Depression

[iii]Kenneth Ewart Boulding (1910 - 1993) Wirtschaftstheoretiker und Philosoph, Mitbegründerder General Systems Theory



(05.10.2014)

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Klaus Woltron

ist ein österreichischer Unternehmer , Buchautor und Kolumnist. Er ist Gründungsmitglied des Club of Vienna und war aktives Mitglied bis zum April 2008. Hier berichtet er u.a. über "Die Perestroika des Kapitalismus".

>> https://www.woltron.com/


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